Andreas Koziol: 7 Gedichte

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Andreas Koziol: 7 Gedichte

Koziol-7 Gedichte

KAPRIOLEN EINES IDIOMS

Ich bin der Hund auf den der Vers gekommen ist.
Ich hör aufs Wort wie kein realer Köter.
Mein Fell ist Schund und meine Leine mißt
fünfhunderttausend Hexazentimeter.

Ich bin ein Schmerz in jedem Musenschoß
vergeh auch nicht zu Füßen der Euterpe.
Sie krault mich sinnend mit dem Daktylos
und ahnt schon daß ich jedes Maß verderbe.

Das Fleisch ist billig und der Geist liegt brach
wie Träume zwischen sprechenden Maschinen.
Ich jage halbverwitterten Phantomen nach
und mein Trochäus wimmelt von Trichinen.

Wie seltsam ist der Wunsch modern zu sein.
Das Zeitgemäße kann mich mal am Jambus.
Die Muse kettet mir den Stern vom Bein
und näht ihn in das Futter ihres Handschuhs.

Sie sagt so läuft mir nicht dein Licht davon
wenn du wieder hinterm Mond verschwindest
und halte mehr Distanz zu meinem Distichon
seine Wasserkrone nämlich ist nicht windfest.

Sie küßt mich spruchreif für die Gegenwart.
Man wirft mich roh auf irgend einen Tresen.
Ich werde ausgespuckt als faule Redensart
und war doch fast schon am Parnaß gewesen.

 

 

 

Jenseits der Wortspielhölle

… für mich gleichen meine Erinnerungen visuell im besten Fall einer Abfolge von Standfotos, oft aber nur einer Handvoll verwackelter Schnappschüsse, überzogen von einem leichten Schimmer, eher bloße Umrisse einer Szene als die Szene selbst.
John Burnside: „Über Liebe und Magie“

Henryk Gericke hatte lange bei mir für Andreas Koziol geworben und damit offene Türen eingerannt.
Er brachte uns bei einem meiner Besuche in Berlin an einen Tisch, wahrscheinlich in der Schankwirtschaft Seeblick in der Rykestraße, weil ich mich damals häufiger dort mit Henryk traf. Ich einigte mich mit Andreas auf eine Auswahl von 7 Gedichten. Das Format hatte einige Zeit vorher Peter Salomon für ein Heft mit seinen Gedichten vorgeschlagen. Auf diese Weise entstand eine kleine Reihe von 7 Heften, die nun seit etlichen Jahren abgeschlossen ist, weil der Karton für den Umschlag nicht mehr zur Verfügung steht.
Als ich das Manuskript erhielt, war ich überrascht. Statt auf Wortneubildungen „wie verbale Molotow-Cocktails“ (Adolf Endler) zu setzen, bediente sich Andreas des eleganten „ironischen Floretts“ (AK). Er hatte „das Zeitalter des engagierten Zwielichts“ (AK) hinter sich gelassen, in dem seine Verse zuweilen mit Überanspielungen prangten, und traf das Eichendorffsche Zauberwort, das in allen Dingen das schlafende Lied weckt, so dass die Welt zu klingen anhebt. Zuweilen meinte ich, einen vertrauten Ton zu vernehmen, als würde er sich „an die Alten anlehnen“ (AK) und sie nicht ablehnen, aber Andreas unterlief diese Erwartung mit Bildern vom laufenden Tage und überraschenden Wendungen. Bei ihm dämmerte der Tag nicht mehr geruhsam herbei, sondern sprang mit fauchenden Motoren an. Der Amsel gefror der Gesang zum Knäuel. Und der Sonnenaufgang war längst nicht mehr gesichert, höchstens noch eine Hoffnung. Selbst das Spiegelbild trennte sich vom Dichter und schien sich vor ihm zu verstecken. Angesichts einer zutiefst unheilen Welt war die Hoffnung der Jahre nach 1990 Skepsis und Melancholie gewichen. Fast schien es so, dass Andreas durch genaues Hinschauen versuchte, das endgültige Entschwinden der Welt in der Digitalisierung ein wenig abzubremsen. Nicht einmal ein „Sandkorn“ mehr, das im Getriebe der Datenströme kein Hindernis darstellt. Andreas äußerte in einer Mail die Hoffnung, dass ihm ein Plätzchen auf dem Parnass eingeräumt wird, und sei es auch nur auf seinen Thüringer Ausläufern. Ich bin mir gewiss, dass ihm allein wegen der „Morgenandacht Anfang März“ ein besserer Platz als am Katzentisch eingeräumt wird.
Aus der Arbeit an dem Heft ergab sich ein beinahe zwanzig Jahre währender Austausch, zuerst per Telefon und Briefpost, später dann mit Mails. Seine Texte waren selten unser Thema, oft gab er musikalische Empfehlungen und äußerte sich über Literatur, ich schickte ihm meine Funde von expressionistischen Dichtern und Arbeitsmanuskripte von Übersetzungen. Immer wieder kamen von ihm Hinweise und Korrekturen. Das Gedicht „Der ideale Abstand“ von Parid Teferiçi (In der Zeitschrift Stadtgelichter, Nummer 7, abgedruckt.) erhielt durch ihn den letzten Schliff. Als es mir nicht gelang, Reime für das Gedicht „Psycho-Getier“ von Tomáš Přidal zu finden, gab ich ihm die Rohübersetzung. Wenige Stunden später kam von Andreas eine deutsche Fassung, die in ihrer Leichtigkeit und Eleganz von seiner hohen Verskultur zeugt. Wir veröffentlichten das Gedicht als Mappe mit einer beigelegten Algrafie nach einer Zeichnung von Tomáš Přidal. Manche Entdeckung nahezu vergessener Dichter – stellvertretend sei hier Walter Petry (1898–1932) genannt – erfuhr seinen Zuspruch, der mich ermunterte, die Reihe kleiner Privatdrucke fortzusetzen.
Wir haben uns nur selten getroffen. Anfangs ging er Veranstaltungen der ehemaligen unabhängigen Literaturszene aus dem Weg. Seine Haltung dazu schrieb er „Mur“ zu:

Siegeslust und dickes Fell
fehl(t)en ihm.

Der Verrat in der Szene hatte ihn dünnhäutig gemacht und die Ablehnung seiner Texte von Zeitschriften und Verlagen hatte er satt. In den letzten Jahren war er schlecht zu Fuß und vermied längere Wege. Ich erinnere mich noch an eine Lesung mit Texten von Konstantin Biebl und Arnošt Ráž in der Staatsgalerie Prenzlauer Berg, Greifswalder Straße, zu der Andreas auf einem E-Bike kam. Anschließend saßen wir noch lange in einer nahegelegenen Wirtschaft und sprachen über die Lesung. Als wir uns verabschiedet hatten, stieg er auf das E-Bike und rollte scheinbar anstrengungslos die Immanuelkirchstraße hinan. Ich sah ihm hinterher, bis das Rücklicht im Dunkel verschwand.

Peter Ludwig, Zeitschrift SIGNUM – Blätter für Literatur und Kritik, Winter 2024

 

 

DIE PÜREEKOCHER.
für andreas koziol

die püreekocher sind das die menschen
von denen in anderer zeit nur gesagt war
sie seien das jagdgestein,
gleichgroß sei jegliches wesen und immer besorgt
ob ihm anfang und ende gelängen.

und wenn sie es nicht sind und kormoran-leute
sind viele bei ihnen und etliche lernten im dulden
gesang denn das tragen der lüfte war einmal und
ohne vergessen geprüft, und sie müssen
einander nun viel von erwartung berichten.

die immer ermattet und immer von tod wie erleuchtet
auf nächtlichen feldern die schritte erinnern
zu künftiger mühsal
und endlich ein lächeln auf ihren gesichtern erscheint
wie zu weiterer streuung erhoben.

Ulrich Zieger

 

 

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Henryk Gericke liest am 28.6.2023 im Baiz.Berlin seinen Andreas Koziol-Nachruf „Inschrift“ und Robert Mießner schließt sich mit Andreas Koziols „Nachschrift“ an.

 

Bild von Juliane Duda mit den Übermalungen von C.M.P. Schleime und den Texten von Andreas Koziol aus seinem Bestiarium Literaricum. Hier „Die A.koziol“.

 

Beitragsbild von Juliane Duda zu Richard Pietraß: Dichterleben – Andreas Koziol

 

Andreas Koziol liest 3 Gedichte zur Autorenlesung der Literatur- und Kunstzeitschrift „Herzattacke“ am 28.1.2016 im Roten Salon der Volksbühne.

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