Wolfgang Leppmann: Zu Alfred Lichtensteins Gedicht „Gebet vor der Schlacht“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Alfred Lichtensteins Gedicht „Gebet vor der Schlacht“ aus Alfred Lichtenstein: Dichtungen. –

 

 

 

 

ALFRED LICHTENSTEIN

Gebet vor der Schlacht

Inbrünstig singt die Mannschaft, jeder für sich:
Gott, behüte mich vor Unglück,
Vater, Sohn und heilger Geist,
Daß mich nicht Granaten treffen,
Das die Luder, unsre Feinde,
Mich nicht fangen, nicht erschießen,
Daß ich nicht wie ’n Hund verrecke
Für das teure Vaterland.

Sieh, ich möchte gern noch leben,
Kühe melken, Mädchen stopfen
Und den Schuft, den Sepp, verprügeln,
Mich noch manches Mal besaufen
Bis zu meinem selgen Ende.
Sieh, ich bete gut und gerne
Täglich sieben Rosenkränze,
Wenn du, Gott, in deiner Gnade
Meinen Freund, den Huber oder
Meier, tötest, mich verschonst.

Aber muß ich doch dran glauben,
Laß mich nicht zu schwer verwunden.
Schick mir einen leichten Beinschuß,
Eine kleine Armverletzung,
Daß ich als ein Held zurückkehr,
Der etwas erzählen kann.

 

Leben ohne Fallhöhe

Ein Kriegsgedicht, und noch dazu im Stil eines Soldatenliedes? Was soll uns das, gerade in diesen Tagen? Wer so fragt, hat sich vom Titel abschrecken lassen. Das ist um so leichter, als „Gebet vor der Schlacht“ eingerahmt ist von ähnlich martialisch klingenden (und im übrigen recht traditionellen) Versen wie „Kriegers Sehnsucht“ und „Die Granate“. Derlei verdunkelt den Erwartungshorizont. Zu Unrecht, denn wir haben ein ungewöhnliches Gedicht vor uns.
Verse, die Krieg und Heldentod verherrlichen, gibt es seit dem Altertum; und es gibt, besonders in unserem Jahrhundert, auch genug Gedichte, die den Krieg als Mord und Bestialität verdammen. Beide Stellungnahmen zeichnen sich durch tiefen Ernst und starke emotionale Parteinahme aus, durch Pathos und eine oft exaltierte Sprache.
Hier hingegen klingt nichts hehr und heilig. Weder die Parzen werden bemüht noch die höchsten Güter der Nation. Es klingt auch nichts hämisch oder haßerfüllt; obwohl das Gedicht aus dem Jahre 1914 stammt, wird weder der Franzmann an die Wand gemalt noch das perfide Albion. Von Trauer ist so wenig die Rede wie von ihrer Schwester, der Nostalgie: „Ich hatt’ einen Kameraden“ ist so weit entfernt wie „Lily Marleen“. (Näher als deutsche Analogien lägen vielleicht angelsächsische. Der Mann, der sich eine blighty wünscht wie so mancher Engländer im Ersten Weltkrieg, also einen Heimatschuß, legt zugleich gegenüber der Gefahr jene grace under pressure an den Tag, die Hemingway so schätzte.)
Denn hier spricht einer, der vielleicht selber dran glauben muß, vom drohenden Tod in einer völlig unerwarteten Tonlage: mit Humor und einer fein dosierten Ironie. Sie durchzieht den Text bis zur letzten Zeile, bis zum uralten Topos des bramarbasierenden Kriegers, des miles gloriosus und Schwadroneurs. Sie tut es, ohne jemals zu verletzen, und dabei bei einem Thema, das wahrhaft einem Minenfeld gleicht. Niemand kann sich entrüsten, über „Hund… Vaterland“ kein Patriot, über „Held“ kein Pazifist, über „täglich sieben Rosenkränze“ kein Katholik, über „Mädchen stopfen“ keine Frau und über „den Schuft, den Sepp“ kein Bayer. (Lichtenstein diente in einem bayerischen Infanterieregiment.)
In der Regel hat die Ironie in einem Gebet so wenig zu suchen wie in einer Liebeserklärung oder einer Totenklage. Hier ist eine Ausnahme, die die Regel bestätigt, zumal dieses Gebet ja auch eine Liebeserklärung an das Leben in seiner elementarsten und vielleicht liebenswertesten Form darstellt. Gewiß, unserem Mann fehlt die Fallhöhe eines Prinzen von Homburg; aber das „Sieh, ich möchte gern noch leben“ verbindet die beiden um so inniger.
Als Liebeserklärung an das Leben sind diese Zeilen zugleich eine Anklage gegen den Feind des Lebens, den Krieg. Er erscheint als teuflische Perversion, die eine Mannschaft, also eine Gruppe gemeinsam wirkender Männer, so zersetzt, daß „jeder für sich“ handelt, und die – eine wahrhaft monströse Vorstellung zu einer Zeit, da Kameradschaft über alles galt – einem Soldaten beziehungsweise dem Dichter das Stoßgebet entlockt, der Herrgott möge die Kameraden „wie ’n Hund verrecken“ und ihn selber am Leben lassen.
„Einer, der vielleicht selber dran glauben muß.“ – Lichtenstein, Jahrgang 1889, fiel im September 1914 in Frankreich, wenige Wochen nach der Niederschrift dieses Gebets, das so ganz und gar kein Kriegsgedicht oder gar Soldatenlied ist.

Wolfgang Leppmannaus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Vierzehnter Band, Insel Verlag, 1991

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