Artur Lundkvist: Eine Windrose für Island

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Artur Lundkvist: Eine Windrose für Island

Lundkvist-Eine Windrose für Island

LEBE WIE GRAS

Und das Gras wandert über die Welt,
von den Flüssen unter dem Wind der breiteste
aaaaaund grünste.
Immer ist das Gras unterwegs,
die Hüften der Berge hinauf, in die schlafenden
aaaaaStädte
hinein,
über Brachland, Savannen, Steppen,
wo der Zentaur nie überwunden wurde,
wo die Weite unter den Hufen der Pferde trommelt,
unter schiefäugigem Mond die Milch im Filzzelt gärt.
Das Gras
trägt den Sturzregen auf Myriaden Rücken
und hält den Boden fest mit zahllosen kleinen Zehen.
Das Gras spannt fruchtlos seine dünnen Finger
um einen Totenkopf.
Das Gras arbeitet rastlos, zaudert nie,
sich Wege zu sprengen, über Gestein zu klettern,
und seine Antwort auf jede Gewalt ist Wachsen.
Das Gras liebt die Welt wie seinen Halm,
glücklich noch an grauen Tagen.

Das Gras, es strömt im Festverwurzeltsein,
es fließt im Stehen dahin,
vielfältig immer, doch beieinander und eins.
Das Gras folgt dem Menschen als Weggefährte
und verbeugt sich vor der Erinnerung, die ins Vergessen
eingeht.
Das Gras hat das Horn des Einhorns gebettet
und die Axt des Indianers,
es wächst als schützende Wimper um Quellen
und zeichnet mit hohen dunklen Büscheln
die Konturen von Tieren, die der Blitz getötet.
Die wilde Maus
zieht einen Scheitel von Schauern durch das Gras,
das grenzenlose Gras,
das der Erde dient und gleichermaßen den Tieren,
das durch Feuer oder Kälte stirbt,
immer wieder aber sich erhebt
und nie davon träumt, Zahn oder Messer zu sein:
lebe wie Gras.

 

 

 

Artur Lundkvist

1906 als Sohn eines südschwedischen „Viertel Bauern“ geboren, dessen Frau nähte und dessen Verwandtschaft in den Kupfergruben arbeitete, wuchs Lundkvist im „Niemandsland zwischen Arbeitern und Bauern“ heran. Er ging früh nach Stockholm, gründete dort die literarische Gruppe der Primitivisten, zu der Schwedens bedeutendste Lyriker zählten. Unter dem Einfluß der fortschrittlichen amerikanischen und lateinamerikanischen Schriftsteller, die Lundkvist in Schweden durch Essays und Übertragungen vorstellte, entwickelte er sich vom Surrealisten zum kritischen sozialen Realisten. Lundkvist wurde Freund der Neruda, Guillén, Alberti, Sandburg, Eluard, Nezval, er übersetzte als erster außerhalb Frankreichs „die schwarzen Brüder“, wie er die Negerlyriker nannte, und sorgte für eine schwedische Majakowski-Ausgabe. Als Lundkvist endlich die Möglichkeit bekam, in alle Länder seiner Sehnsucht zu reisen, sah er längst nicht mehr mit den Augen seiner Sehnsucht, sondern mit den Augen eines Sozialisten. Davon zeugen seine Reisebücher (zum Teil deutsch erschienen im Brockhaus-Verlag, Leipzig). 1958 erhielt Artur Lundkvist, inzwischen zum Vizepräsidenten des Weltfriedensrates gewählt, den Leninpreis.

Verlag Volk und Welt, Klappentext, 1962

 

 

Fakten und Vermutungen zum Autor
Nachruf auf Artur Lundkvist: Spiegel

 

Artur Lundkvist liest sein Gedicht „Lebe wie Gras“.

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