Elke Erb: Zu Georg Trakls Gedicht „Geburt“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Georg Trakls Gedicht „Geburt“. –

 

 

 

 

GEORG TRAKL

Geburt

Gebirge: Schwärze, Schweigen und Schnee.
Rot vom Wald niedersteigt die Jagd;
O, die moosigen Blicke des Wilds.

Stille der Mutter; unter schwarzen Tannen
Öffnen sich die schlafenden Hände,
Wenn verfallen der kalte Mond erscheint.

O, die Geburt des Menschen. Nächtlich rauscht
Blaues Wasser im Felsengrund;
Seufzend erblickt sein Bild der gefallene Engel,

Erwacht ein Bleiches in dumpfer Stube.
Zwei Monde
Erglänzen die Augen der steinernen Greisin.

Weh, der Gebärenden Schrei. Mit schwarzem Flügel
Rührt die Knabenschläfe die Nacht,
Schnee, der leise aus purpurner Wolke sinkt.

 

Trakls Gedicht „Geburt“ – Eröffnet im Gang des Lesens

Zuerst das Wort Geburt. Ihm folgt lautlich Gebirge.
Und gleich darauf ist das erste Wort dreimal verborgen: In Schwärze, unter Schweigen und Schnee. Das ist der erste Vers. Er endet und gibt dem zweiten Raum. Einem Geschehen, nach den Sch im ersten Vers.
Rot vom Wald niedersteigt – Woher denn rot? Vom Rotwild schon? (Wie im Kinderlied: Flinte, rote Tinte, tot).
Und jetzt die dritte Zeile – wie es klafft zwischen ihnen Aber springen sollst du nicht. Sondern immer, jedesmal, sein, bei jeder Zeile sein. Nichts weiter. – Mir scheint, ich beginne, das Gedicht mir zu öffnen.

Schweigen kann nur sein, wo geredet werden kann. Stille kann nun kommen, weil Wild war. Ich will mir Zeit lassen. Hinsehn. In die moosigen Blicke. Die moosigen Blicke stehn still. Stehn moosig still. Sanft. 

Wie weit weg die dritte Zeile von der zweiten! Klüfte, unirdische. Mit Moosen und Flechten fing das Leben an, auf Steinen.
Aber doch wie dieses moosig allzugleich nicht mehr ist und: nicht vernichtet (lebendig), hält, behält! Die nichttote Stille. Ich hatte eben greifbar vor Augen, dort die beiden einander ausschließenden Bedeutungen ergeben präzis die moosigen Blicke, präzis in sie gefaßt, momentan.
Nicht für immer. Es ist ja ein Spiel, es gleitet. Wie man erschrickt, entdeckt man ein Werden in etwas miteinander Angetroffenem! – Es ist ein Spiel, seines. Mit vertrauten Motiven. Den Seinen. Und Mehrschichtigkeit bleibt.

Die Hände unter den Tannen. Öffnen sich zu dir hin?

Wenn es abgetan ist, keine Gefahr mehr gilt, wenn verfallen der kalte Mond erscheint, – nichts will. – Kann etwas wirklicher erscheinen als das? – Kann etwas folglicher folgen als O? Purpur ist das Königsrot. Nicht das der Jagd. Es ist ein Rot nach dem Blutrot.
Wir sind auch nach dem, da ist jetzt Ruh. Wieder eine Pause. Und neu, vom Titel her und den anderen Zeilen (den nun entzündeten): O die Geburt des Menschen. Und sogleich, du hörst: Nächtlich rauscht – und du siehst: blaues Wasser, unten, im Felsengrund. 

Warum erscheint mir das blau als die logische Folge? Weil ich eine logische Folge haben will? Kann eine Folge etwas anderes sein als logisch? – Und sind die Tasten vorgegeben? Ja. Prinzipiell. In jedem Fall wie vorgegeben sind sie immer.
Auch die Geburt ist vorgegeben. Vor ihr der Engel. Zu ihr gesellt sich das Wasser. Nachts blau. Vor ihr, bei ihr der gefallene Engel, kein Teufel. Vom Himmelblau.
Die schlafenden Hände öffnen sich. Unter schwarzen Tannen. Ein Bleiches erwacht. In dumpfer Stube. Stube – steinern; steinern – ein Bleiches – Greisin. Ich folge dem Text wie Tönen von – unter gleitenden HändenTasten.
Tönen, die wiederaufnehmen… und zurück auch gehn, Spiel…

Zwei Monde – Stille. Dann: Erglänzen die Augen der steinernen Greisin. Sie wartet, regungslos. Steinern vor Alter? Gegenwart. Zwei Zeiten – zugleich. Wie oben, eben: 1: Nächtlich rauscht – 2: blaues Wasser (vom Himmelblau) – 3: im Felsengrund – beieinander in einem.

Der gefallene Engel sieht sein Bild im blauen Wasser im Felsengrund.

So draußen (Gebirge: Schwärze, Schweigen und Schnee) – und drinnen: sieht er sein Bild, wenn in dumpfer Stube ein Bleiches erwacht…

Ein Seufzer war – dann (ein zweiter Aufbruch – nach dem O…): Weh, der Gebärenden Schrei. 

Jetzt, nach diesem Hin und Her, den Bewegungen des Lesens, habe ich alles geöffnet. Gewahre es! In einem. – Kein Wort mehr!

Elke Erb, aus Mirko Bonné und Tom Schulz (Hrsg.): TRAKL und wir. Fünfzig Blicke in einen Opal, Stiftung Lyrik Kabinett, 2014

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