Felix Philipp Ingolds Skorpioversa – Das Richtige im Falschen suchen (Teil 1)

Das Richtige im Falschen suchen

 

In einem grossangelegten Essay von Peter Hamm über Paul Valéry (erschienen 1991 in Der Spiegel, archiviert auf planetlyrik.de) findet sich unter vielen andern Zitaten auch dieses:
«Alles was wirklich und wesentlich ist, wird durch das Denken beeinträchtigt, ja zerstört; wenn aus dem Sinnlosen durch Zufall zuweilen das Vollkommene geboren wird, so geschieht dies ohne Zutun des Verstandes, der sich umsonst bemüht, eine Erklärung für dieses Wunder zu finden. Wenn das Herz Verstand hätte, wäre es tot.»
Als Quelle dazu gibt Hamm Mein Faust an, Valérys letztes, unvollendet gebliebenes Dichtwerk (1945), aus dem eigentlich – nach Goethe – ein «Faust III» hätte werden sollen.
Das Zitat als solches ist durchaus bedenkenswert, dies umso mehr, als es das gängige Image des Autors und dessen militanten Rationalismus klar konterkariert. Denn hier wird nun explizit das «Herz» gegen den «Verstand» ausgespielt, den Valéry implizit für «tot» erklärt, nachdem er ihn während Jahrzehnten ebenso militant hochgehalten hat.
Das «Wunder» der Vollkommenheit soll nun (bloss noch? zuweilen?) ein Produkt des Zufalls sein! Damit würde freilich jeder Kommentar, vollends jede Erwiderung überflüssig. Wo der Zufall regiert, ist eine unkalkulierbare, mithin unkontrollierbare Notwendigkeit am Werk, die jeden künstlerischen Willen überbietet: Der literarische Text wird nicht «gemacht», er wird geboren.

Fortsetzung hier

© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik

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