Felix Philipp Ingolds Skorpioversa – Prekäres Vorbild (Teil 4)

Prekäres Vorbild

Teil 3 siehe hier

Da derzeit saisonaler Erfolg und Gewinn, das Gebot der Unterhaltung und die Erwartung von Welthaltigkeit den Literaturbetrieb dominieren, ist ein Rückkommen auf Stefan George ebenso unwahrscheinlich wie das Aufkommen eines neuen dichterischen Hermetismus mit elitärem Anspruch. Weltweit ist heutige Lyrik umgangssprachlich imprägniert, dabei mehrheitlich angelegt auf private oder soziale Befindlichkeiten, thematisch wie formal jedenfalls aller «georgianischen» Abgehobenheit entgegengesetzt und immer schon gerechtfertigt durch den globalen Konformismus ihrer Poetik.
Aber könnte nicht gerade der weitläufige Triumph literarischer Beliebigkeit und Überproduktion, der sich längst normalisiert hat und auch tatsächlich als Norm hochgehalten wird, früher oder später ein neues Bedürfnis nach elitärer, nachhaltiger – statt nach populärer, kurzlebiger – Autorschaft wachrufen? George seinerseits hat vor gut einem Jahrhundert eben dies (a.a.O.) in erhabenen, quasiprophetischen Versen angemahnt:

Täuscht euch nicht mit jenen blöden
Die nur auf die lösung lauern
Um der rune kraft zu brechen
Sie besudelt zu verscharren
Und noch ärger zu verarmen –
Nur der meister weiss den tag.

Nicht aber eine Wiederbelebung des Georgianertums wäre gefragt, vielmehr eine entschiedene Rückbesinnung auf die Exklusivität aller Literatur, die als Sprachkunst bestehen kann, statt bloss der Verständigung, dem Amüsement oder der Belehrung zu dienen. Ob freilich damit, wie einst ein zeitgenössischer Kritiker Stefan Georges noch hoffen mochte, «eine seit langem selten gewordene Sprachkunst wieder zur Regel wird», bleibe – skeptisch – dahingestellt.

 

© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik

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