John Cage: Silence

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von John Cage: Silence

Cage-Silence

aaaaaaaaaaaaaaaaaaaBevor ich sterbe, werde ich
ein Testament hinterlassen, denn wenn man et-
was getan haben will, ist Sentimentalität wirkungsvoll. Ich

hab nicht die geringste Ahnung davon was gut
in der Welt ist, sondern akzeptiert statt dessen ganz
aaaaapassiv, & oft
gegen das was als bessere Einsicht
gelten könnte, das was geschieht.

Ich finde daß es wichtig ist eine
Vielzahl von Schritten zu tun.
Man erzählt eine Geschichte von einem irischen Helden, von dem

eine eifersüchtige Schwiegermutter verlang
auf eine entlegene Insel zu gehen.
aaaaaaaaaaUm jeden Preis muß Inspiration
vermieden werden, was soviel heißt wie
handle auf eine Weise daß Inspiration
nicht als Alternative auftritt
sondern ewig besteht. Dann freilich
ist es Theater und die Musik verschwindet
gänzlich ins Reich der Kunst wohin
sie weiß daß sie gehört. Kunst-Stille ist
nicht wirkliche Stille und der Unterschied
ist Kontinuität gegen gegenseitige Durchdringung. Dies hier
auch.aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa(Streichholz anzünden)

aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa(Hand hochhalten)

aaaaaaaaaaaEs gibt nicht

so etwas wie Stille. Etwas geschieht

immer, das einen Klang erzeugt.

Niemand kann einen Einfall haben

wenn er erst einmal wirklich zu hören beginnt.

Es ist sehr einfach doch besonders aaaaa dringend

Der Herr weiß ob oder nicht

der nächste…

 

 

 

Nachwort

Über zwanzig Jahre lang habe ich Artikel geschrieben und Vorträge gehalten. Viele waren in ihrer Form ungewöhnlich – das gilt besonders für die Vorträge −, da ich hier analoge Kompositionsprinzipien wie auf dem Gebiet der Musik angewendet habe. Meine Absicht war dabei oft, das, was ich zu sagen hatte, so zu sagen, daß es anschaulich wurde; dadurch würde es begreiflicherweise dem Zuhörer eher möglich sein, zu erfahren, was ich zu sagen hatte, als wenn er darüber nur etwas hörte. Das heißt, durch mein Engagement in den verschiedensten Tätigkeitsbereichen versuchte ich, auf jeden von ihnen Aspekte, die herkömmlicherweise auf den einen oder anderen beschränkt waren, zu übertragen.
So hielt ich auch um 1949 meinen Vortrag über nichts beim Künstler-Club in der 8. Straße von New York City (dem von Robert Motherwell gegründeten Künstler-Club, der dem beliebteren Club mit Philip Pavia, Bill de Kooning u.a. vorausging). Dieser Vortrag über nichts ist mit der gleichen rhythmischen Struktur geschrieben, die ich damals in meinen musikalischen Kompositionen anwandte (Sonaten und Zwischenspiele, Drei Tänze usw.). Eines der Strukturmerkmale ist die etwa vierzehnmalige Wiederholung einer einzigen Seite, auf der als Refrain „Wenn jemand schläfrig ist, soll er schlafen“ wiederkehrt. Ich erinnere mich, daß Jeanne Reynal plötzlich aufstand, schrie und dann, während ich weiterredete, sagte: „John, ich mag dich sehr, aber ich halte es keine Minute länger aus.“ Darauf ging sie hinaus. Im Verlauf der Diskussion gab ich jeweils eine der sechs von mir vorbereiteten Antworten, ohne auf die gestellte Frage einzugehen. Das war eine der Auswirkungen meiner Beschäftigung mit Zen…
Wenn ich zurückblicke, stelle ich fest, daß ich schon früh eine Beziehung zur Dichtung hatte. Im Pomona-College schrieb ich bei der Beantwortung von Fragen über die Dichter des Seendistrikts, belanglos und mich wiederholend, in der Manier Gertrude Steins. Ich bekam eine eins. Als ich es ein zweites Mal machte, ging es daneben. Seit dem Vortrag über nichts sind mir mehr als ein Dutzend unkonventionell verfaßte Stücke entstanden, einschließlich einiger, bei denen Zufallsoperationen eine Rolle spielten, und eines Textes, der weitgehend aus einer Reihe unbeantworteter Fragen bestand. Als mich M.D. Richards fragte, warum ich nicht einmal einen konventionell informativen Vortrag halten könnte, wobei er hinzufügte, daß so etwas das Schockierendste sein würde, was ich tun könnte, sagte ich: „Ich halte diese Vorträge nicht, um die Leute zu überraschen, sondern aus poetischer Notwendigkeit.“
Wie ich es sehe, ist Poesie einfach deshalb nicht Prosa, weil Poesie auf die eine oder andere Art formgebunden ist. Sie ist nicht Poesie aufgrund ihres Inhalts oder ihrer Mehrdeutigkeit, sondern weil sie erlaubt, in die Welt des Wortes musikalische Elemente (Zeit, Klang) hineinzunehmen. So gibt es Traditionen, durch Poesie Informationen zu übermitteln, und sei diese noch so trocken (z.B. die Sutras und Shastras Indiens). Auf diese Weise war sie leichter zu erfassen. Karl Shapiro mag ähnlich gedacht haben, als er einen Essay über den Reim in Gedichtform schrieb.
Als diese formgebundenen Vorträge zum Satz gehen konnten, ergaben sich gewisse Schwierigkeiten, und manche der gefundenen Lösungen sind Kompromisse zwischen dem, was erwünscht, und dem, was praktisch möglich war…
Natürlich sind nicht alle diese Texte formal ungewöhnlich. Einige wurden für den Druck geschrieben, d.h. um eher betrachtet als gehört zu werden. Andere wurden als konventionelle informative Vorträge konzipiert und gehalten (ohne deshalb die Hörer zu schockieren, soweit ich das feststellen konnte). Diese Sammlung enthält nicht alles, was ich geschrieben habe; sie spiegelt wider, was ich war und weiterhin bin, meine wesentlichen Anliegen…

John Cage, Juni 1961

 

John Cage (1912–1992),

einer der bedeutendsten experimentellen Komponisten des 20. Jahrhunderts, „hat in diesen Texten ‚analoge Kompositionsprinzipien wie auf dem Gebiet der Musik‘ angewendet. ‚Meine Absicht war dabei oft‘, heißt es in seinem Nachwort, ‚das, was ich zu sagen hatte, so zu sagen, daß es anschaulich wurde; dadurch würde es begreiflicherweise dem Zuhörer eher möglich sein, zu erfahren, was ich zu sagen hatte, als wenn er darüber nur etwas hörte.‘ Die Vorträge sind ‚formgebunden‘, nicht an der Aussage über etwas interessiert, sondern an der Vergegenwärtigung des Auszusagenden selbst. Das hat die Zuhörer immer wieder aus der Fassung gebracht. Silence bleibt einer der zentralen Texte der experimentellen Literatur.“

Heinrich Vormweg, Suhrkamp Verlag, Klappentext, 1995

 

 

Fakten und Vermutungen zum Autor + IMDb +
Internet Archive + Poets.org + Kalliope
Porträtgalerie: Keystone-SDA

 

John Cage über Silence am 2.4.1991.

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