Karl Krolow: Zu Hilde Domins Gedicht „Aus: Drei Arten Gedichte aufzuschreiben“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Hilde Domins Gedicht „Aus: Drei Arten Gedichte aufzuschreiben“ aus Hilde Domin: Ich will dich. –

 

 

 

 

HILDE DOMIN

Aus: Drei Arten Gedichte aufzuschreiben

Kleine Buchstaben
genaue
damit die Worte leise kommen
damit die Worte sich einschleichen
damit man hingehen muß
zu den Worten
sie suchen in dem weißen
Papier
leise
man merkt nicht wie sie eintreten
durch die Poren
Schweiß der nach innen rinnt
Angst
meine
unsere
und das Dennoch jedes Buchstabens

 

Zivilcourage des Wortes

Das Gedicht ist das Mittelstück eines Triptychons. Hilde Domin schrieb es in den Jahren 1967/1968, und die Texte sind in ihrem letzten Gedichtband ich will dich enthalten. Unter den drei Annäherungen an den Prozeß des Gedichteschreibens hebt sich dieses Gedicht durch seine Behutsamkeit, durch die Zurückhaltung ab, durch die Stille und Unmerklichkeit, die Unauffälligkeit, die über den Worten liegt.
Diese Handvoll Worte ohne Aufwand bringen dennoch vieles und Unterschiedliches zur Sprache. Einmal jenes Unaufdringliche und Leise, mit dem die Dichterin auf den Vorgang des Worte-Machens verweist. Die kleinen, aber genauen Buchstaben, die gesetzt werden, machen die „leisen Worte“ möglich, eröffnen sie. Es sind Worte, die sich einschleichen, die plötzlich da sind, durchaus unvorhergesehen und unvorhersehbar, so scheint es. Mehr noch: die Worte stellen sich nicht lediglich einschleichend ein. Man muß sich um sie bemühen. Man muß sie nicht bloß unerwartet finden, um sich – vielleicht – bald schon mit ihnen abgefunden zu haben.
Hilde Domin wünscht und fordert dazu auf, daß man zu diesen Worten hingehe, sie suche „in dem weißen Papier“, Auch dies wiederum, diese notwendige Aktivität, wird „leise“ genannt. Man setzt sich auf diese diskrete Weise zu ihnen in Beziehung, und die Worte wiederum kommen – einschleichend – entgegen:

man merkt nicht wie sie eintreten
durch die Poren

Derart heimlich, aber auch derart selbstverständlich können die Worte – von sich aus – erwidern, die Beziehung bestätigen.
Der für sie Empfängliche, sie Aufsuchende wird von ihnen durchdrungen werden. Sie kommen nahe, körpernahe. Sie gehen gewissermaßen unter die Haut. Die Beziehung zu den Worten des entstehenden und Kontakt suchenden Gedichts ist denkbar intensiv. „Schweiß der nach innen rinnt.“ Diese leise redenden, sich einschleichend artikulierenden Worte können Schweiß kosten, Angstschweiß zum Beispiel – „Angst / meine / unsere“ – wie es andeutend heißt.
Die Worte Hilde Domins, so behutsam und mit kleinen, genauen Buchstaben gesetzt, wie sie sind, so leise sie formuliert sind, formulieren sich doch nicht leicht. Sie schonen nicht. Sie erregen etwas. Angst wird erregt oder doch erkannt: die eigene Angst und die gemeinsame Angst, die Angst der anderen, Angst des Am-Leben-Seins und Angst vor Verfolgung, vor Nachstellung. Auch den Worten, den Worten des Gedichts, wird auf diese vielleicht kaum merkliche Weise nachgestellt. Sie bekommen ihr Dasein zu spüren wie der Leser, der sie wahrnimmt und aufnimmt. Aber das kleine, behutsame, das überaus zurückhaltende Gedicht schließt nicht mit dem Angstwahrnehmen. Es verwahrt sich eher ihm gegenüber, indem es nochmals auf das zurückkommt, mit dem es begann: auf die Buchstaben, aus denen die Worte gebildet sind, die Buchstaben, die das alles erst ermöglichten, diese Voraussetzungen zum Wortemachen: „und das Dennoch jedes Buchstabens“ behält das letzte Wort, und mit dem letzten Wort, der letzten Gedicht-Zeile das Widerstandleisten der Worte, die behutsame Kraft, die stille Renitenz. Jeder einzelne Buchstabe wird zählen bei solchem Widerstandleisten.
Im letzten Gedicht des kleinen Zyklus „Drei Arten Gedichte aufzuschreiben“ wird vom Menschen als vom „ Tier das Zivilcourage hat“ gesprochen. Im vorangehenden Gedicht hier ist das bereits vorbereitet. Denn das „Dennoch jedes Buchstabens“ hat bereits mit der Zivilcourage des einzelnen Wortes zu tun.

Karl Krolowaus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Zweiter Band, Insel Verlag, 1977

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