Adelbert von Chamissos Gedicht „Frisch gesungen“

ADELBERT VON CHAMISSO

Frisch gesungen

Hab’ oft im Kreise der Lieben
Im duftigen Grase geruht
Und mir ein Liedlein gesungen,
Und alles war hübsch und gut.

Hab’ einsam auch mich gehärmet
In bangem, düsterem Mut
Und habe wieder gesungen,
Und alles war wieder gut.

Und manches, was ich erfahren,
Verkocht’ ich in stiller Wut.
Und kam ich wieder zu singen,
War alles auch wieder gut.

Sollst nicht uns lange klagen,
Was alles dir wehe tut,
Nur frisch, nur frisch gesungen!
Und alles wird wieder gut.

1829

 

Konnotation

„Ich finde Anerkennung, ich weiß nicht wie in dieser Zeit“, stellte der Dichter Adalbert von Chamisso (1791–1838) im März 1829 fest. „Meine Gedichte finden Nachhall – werden überall wieder abgedruckt, Künstler verfertigen Bilder nach denselben; in verschiedene Sprachen werden sie übersetzt…“ Zur enormen Popularität des literarischen Emigranten Chamisso trug auch die Apologie des Singens bei, die ebenfalls im Jahr 1829 entstand.
Neben exotischen Balladen und sehr bedeutenden zeitkritischen Gedichten, die von politischen Aufbruchshoffnungen der Vormärz-Periode sprechen, verfasste Chamisso auch eine Menge geselliger Lieder, die sich in naiver Bejahung des Singens gefallen. Das erscheint hier als Allheilmittel gegen die Unbill der politischen Zeitläufte und des privaten Unglücks – dass dieser biedermeierliche Harmonie-Zustand ein romantisch erschwindeltes Trugbild ist, hat ein politischer Kopf wie Chamisso durchaus gewusst.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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