Eugen Roths Gedicht „Kunst“

EUGEN ROTH

Kunst

Ein Mensch malt, von Begeisterung wild,
Drei Jahre lang an einem Bild.
Dann legt er stolz den Pinsel hin
Und sagt: ,Da steckt viel Arbeit drin.‘
Doch damit wars auch leider aus:
Die Arbeit kam nicht mehr heraus.

nach 1940

aus: Eugen Roth: Sämtliche Werke. Bd. 2: Gedichte. Carl Hanser Verlag, München 1977

 

Konnotation

Die moderne Kunsttheorie badet oft in Begeisterung über den „Prozesscharakter“ der künstlerischen Aktivität, wobei einige Ästhetiker die wirkungsmächtige These vertreten, dass diese Prozessualität der eigentliche Kunstakt sei, das fertige Artefakt dagegen sekundär. Diese etwas verschmockten Theorien sind alle vor der Niederschrift der humoristischen Miniatur Eugen Roths (1895–1976) entstanden, der mit einer gewissen Respektlosigkeit die unabschließbare Arbeit eines Malers beobachtet.
Es genügt dem humoristischen Spruchdichter Roth, den von ihm beschriebenen Vorgang mit implizitem Schmunzeln zu begleiten. Ein Kommentar zum Selbstbetrug des Malers erübrigt sich auch. Was aus der Perspektive des Malers zu einer hochproduktiven Leistung und zu einer Art work in progress stilisiert wird, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als eklatantes Versagen des Künstlers. Manchmal „steckt“ eben lediglich „viel Arbeit drin“ in einem Kunstwerk – Arbeit, deren Ergebnis selbst beim Scheitern der künstlerischen Aktivität in einen Erfolg umgelogen werden kann.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

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