Fred Endrikats Gedicht „Pessimismus“

FRED ENDRIKAT

Pessimismus

Es starb E.T.A. Hoffmann und Napoleon,
es starb der junge Mozart und der alte Blücher,
es starb der Große Kurfürst und Pipin des Kleinen Sohn
kurzum: man ist sich seines Lebens nicht mehr sicher.

1930er Jahre

aus: Das große Endrikat-Buch. Blanvalet, München 1976

 

Konnotation

Das unangenehme Faktum, dass die Mortalitätsrate in allen menschlichen Gesellschaften nach wie vor hundert Prozent beträgt, hat die Dichter immer wieder zu Meditationen, Klagen und Gedankengedichten aller Art provoziert. Der Kabarettist und Improvisationskünstler Fred Endrikat (1890–1942), der durch politisches Appeasement seine Karriere auch während der Jahre des Nationalsozialismus sicherte, reagierte auf den Skandal des Sterbenmüssens mit kalauernder Heiterkeit.
Der „Pessimismus“, den der Titel des Vierzeilers ankündigt, wird demonstrativ konterkariert. Wenn selbst die großen Künstler und die legendären Herrscher der Sterblichkeit ausgesetzt sind, erscheint die Gewissheit des eigenen Todes weniger schmerzvoll zu sein. Im Grunde wird die Sterblichkeit durch Ironie banalisiert. Und der „Pessimismus“, der nur geringe gesellschaftliche Akzeptanz hat, wird verscheucht durch Lustigkeit. Die Zuhörer seiner Bühnenauftritte wird es gefreut haben.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

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