Friedrich von Logaus Gedicht „Des Menschen Alter“

FRIEDRICH VON LOGAU

Des Menschen Alter

Ein Kind vergißt sich selbst, ein Knabe kennt sich nicht,
Ein Jüngling acht’ sich schlecht, ein Mann hat immer Pflicht,
Ein Alter nimmt Verdruß, ein Greis wird wieder Kind:
Was meinst du, was doch dies für Herrlichkeiten sind!

1638

 

Konnotation

Friedrich von Logau (1604–1655), ein Meister der „ersten schlesischen Dichterschule“, verstand seine Gelegenheitsgedichte und Epigramme als fortlaufenden Kommentar zu den Ereignissen seiner Zeit. Als sein Werk ein Jahrhundert nach seinem Tod von Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) wiederentdeckt wurde, staunte die Nachwelt über den scharfen Witz und die skeptizistischen Pointen dieses großen Moralisten und Satirikers.
Im Jahre 1638 hatte Logau unter dem Pseudonym Salomon von Golaw Zwei Hundert Teutscher Reimensprüch veröffentlicht. 1654 folgte in Breslau die Sammlung Deutscher Sinn-Getichte Drey Tausend. Sein Epigramm über die Erfahrungen der verschiedenen menschlichen Altersstufen benennt in nüchterner Klarheit, dass der Mensch in keiner Lebensphase seines Lebens eine Ich-Identität erreicht, sondern in jedem Stadium seiner Existenz von Selbstmissverständnissen oder Enttäuschungen umstellt ist.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

0:00
0:00