Sterben

Badenweiler, am 15. Juli. Tschechow wacht gegen ein Uhr nachts auf; er hat Atemnot. Um zwei trifft der Arzt ein. Tschechow läßt Champagner bringen; er setzt sich auf und sagt zum Arzt sehr laut auf deutsch (sein Deutsch ist äußerst mangelhaft): »Ich sterbe …« Und jetzt nimmt er sein Glas, wendet Olga, die neben ihm sitzt, das Gesicht zu, lächelt, lächelt unverwandt sein wunderbares Lächeln, sagt noch: »Ich habe so lange keinen Champagner mehr getrunken …«, leert sein Glas in aller Ruhe, legt sich still auf die linke Seite und – ist tot.

Sterben: zu Tode kommen; zur Sache; zu sich.

Denn »gestorben« – daß heißt: objektiv, geworden, sein.

Als Tote sind wir wohl immer nur dies oder das; ein Es in bezug auf jenes Ich, das Man diesseits war.

(Hohl: »Alles, was du bist, wirst du einst sein.«)

 

aus: Felix Philipp Ingold: Haupts Werk Das Leben
Ein Koordinatenbuch vom vorläufig letzten bis zum ersten Kapitel.

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