Günter Kunerts Gedicht „Lied nach dem letzten Schuß“

GÜNTER KUNERT

Lied nach dem letzten Schuß

Verwundet ist die Welt,
vergraben ist das Geld,
die Toten auf dem Feld,
die haben sich bekriegt.
Wer hat gesiegt?
Denn gewonnen haben ganz andere.

Die Toten auf dem Feld
haben nichts mehr von der Welt
und haben auch kein Geld,
sie haben nur gesiegt,
nachdem sie sich bekriegt.
Aber gewonnen haben ganz andere.

um 1980

aus: Günter Kunert: Stilleben. Gedichte. Carl Hanser Verlag, München 1983

 

Konnotation

Als junger Dichter in Berlin war der 1929 geborene Günter Kunert seinem großen Vorbild Bertolt Brecht begegnet und hatte sich von dessen Weltveränderungs-Pathos faszinieren lassen. Über ein Jahrzehnt lang band er in Büchern wie Wegschilder und Mauerinschriften (1950) seine poetische Loyalität an den sozialistischen Menschheitstraum. Aber spätestens mit dem Band Der ungebetene Gast (1965) mehrten sich die „schwarzen Lehrgedichte“ und mit ihnen die Zeichen der Skepsis und der pessimistischen Weltbetrachtung.
Selbst nach seiner Abkehr vom dialektischen Geschichtsoptimismus Brechts blieb Kunert den poetischen Verfahren des Meisters treu. In diesem um 1980 entstandenen Poem entwirft er in sehr eingängigen Reimen eine parabelhafte Nachkriegs-Szene. Die kriegsentscheidende Schlacht ist vorbei. Aber der militärische Triumph der Sieger ist wertlos angesichts der Verheerungen und Menschenverluste. Die belehrende Geste im jeweils letzten Vers fügt dem Gedicht eine problematische Dosis Didaktik hinzu.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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