Hans Magnus Enzensbergers Gedicht „Zukunftsmusik“

HANS MAGNUS ENZENSBERGER

Zukunftsmusik

Die wir nicht erwarten können,
wirds lehren.

Sie glänzt, ist ungewiß, fern.

Die wir auf uns zukommen lassen,
erwartet uns nicht,
kommt nicht auf uns zu,
nicht auf uns zurück,
steht dahin.

Gehört uns nicht,
fragt nicht nach uns,
will nichts von uns wissen,
sagt uns nichts,
kommt uns nicht zu.

War nicht,
ist nicht für uns da,
ist nie da, ist nie.

1991

aus: Hans Magnus Enzensberger: Zukunftsmusik. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1991

 

Konnotation

Mit seinem stoischen Sich-Abfinden mit der Welt hat Hans Magnus Enzensberger (geb. 1929) viele seiner einstigen intellektuellen Weggefährten irritiert. Was der Autor selbst als notwendige skeptische Selbstbegrenzung begreift, mutet seinen Kritikern wie ein achselzuckender Relativismus an, der es sich bequem macht vor den extremen Widersprüchen der Weltordnungen. Seinen lyrischen Kurs der Nicht-Intervention in die Welt hat Enzensberger erstmals 1991 ausformuliert, im Gedichtband Zukunftsmusik.
Der Begriff „Zukunftsmusik“ ist seit je eine herabsetzende, spöttische Vokabel. Ursprünglich gegen die Musik Richard Wagners gerichtet, wird der Begriff für alle Projekte verwendet, deren Realisierung in weiter Ferne liegt oder sehr unwahrscheinlich geworden ist. Enzensberger demontiert in diesem Gedicht die kollektiven Erwartungen auf die Zukunft so systematisch, dass nach vielen Negationen die Existenz der Zukunft selbst verneint wird. Am Ende hat die Zukunft, die noch in Utopien aufschien, ihren „Glanz“ vollständig eingebüßt.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

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