Heinrich Heines Gedicht „Wenn ich, beseligt von schönen Küssen“

HEINRICH HEINE

Wenn ich, beseligt von schönen Küssen

Wenn ich, beseligt von schönen Küssen,
In deinen Armen mich wohl befinde,
Dann mußt du mir nie von Deutschland reden, –
Ich kanns nicht vertragen – es hat seine Gründe.

Ich bitte dich, laß mich mit Deutschland in Frieden!
Du mußt mich nicht plagen mit ewigen Fragen
Nach Heimat, Sippschaft und Lebensverhältnis; –
Es hat seine Gründe, ich kanns nicht vertragen.

Die Eichen sind grün, und blau sind die Augen
Der deutschen Frauen; sie schmachten gelinde
Und seufzen von Liebe, Hoffnung und Gauben; –
Ich kanns nicht vertragen – es hat seine Gründe.

1834

 

Konnotation

In seinem 1834 entstandenen Gedicht reagiert Heinrich Heine (1797–1856) allergisch auf sein altes Vaterland. Drei Jahre vor der Niederschrift dieses Textes war der Dichter, der mit seinem Buch der Lieder (1827) das wirkungsmächtigste Buch europäischer Liebeslyrik geschrieben hat, als Korrespondent der Augsburger Allgemeinen Zeitung nach Paris gegangen.
1835 wurden Heines Schriften wie alle Werke des „Jungen Deutschland“ in den deutschen Landen verboten. Nun ereilt ihn selbst im Bett der französischen Geliebten das Thema Deutschland, eine Zumutung, die bei ihm schroffe Ablehnung hervorruft, in die freilich ein wenig Sentimentalität gemischt ist. Die Erinnerung des Pariser Emigranten an die deutschen Zustände und an die deutschen Frauen ist ambivalent. Deutschland ist der Ort eines Verlusts, einer Wunde. Zugleich wird aber auch das glückliche Entronnensein aufgerufen – in spöttischer Ironie.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006

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