Heinz Czechowskis Gedicht „Gute Woche“

HEINZ CZECHOWSKI

Gute Woche

Das Haus, in dem ich wohne,
Ist weder abgebrannt noch
Von Erdbeben erschüttert.
Ich habe zu essen, auch
Etwas Geld. Die Natur
Hat noch Stellen, die mich versöhnlich stimmen,
Und die Liebe
Verschafft mir Genuß.
Im Rundfunk
Ist über mich gesprochen worden,
Ein Freund schrieb mir Erfreuliches
Zu meinem Buch. Ich hielt
Einen Vortrag, der
Meinen Freunden gefiel, und traf
Ein paar Leute,
Die mir sympathisch waren.
Jetzt, am Freitagabend,
Fühle ich mich
Wie der König Polykrates,
Der auch nicht wußte,
Daß sein Glück
Nur die Kehrseite
Aller Verhängnisse war.

1990er Jahre

aus: Heinz Czechowski: Die Zeit steht still. Ausgewählte Gedichte. Grupello Verlag. Düsseldorf 2000

 

Konnotation

Seit ihn der politische Umbruch in der DDR aus der Bahn warf, hat sich der sächsische Melancholiker Heinz Czechowski (geb. 1935) ganz der Verfeinerung seines Fatalismus gewidmet. Man wird in der literarischen Landschaft der Bundesrepublik kaum einen Autor finden, der so schonungslos die Aussichtslosigkeiten seiner Existenz aufzeichnet – um am Ende zu einem wenig schmeichelhaften Befund zu finden: Er sei sein „eigener Pflegefall“ – so Czechowski in bitterer Selbstbezichtigung.
Lapidarität ist das bevorzugte Stilmittel in Czechowskis späten Gedichten. Er bedient sich hier eines nüchternen Protokollstils, der nicht so sehr der „Sächsischen Dichterschule“ entstammt, in der Czechowski seine literarischen Urszenen erlebte, als vielmehr dem Realismus Bert Brechts (1898–1956). Freilich überrascht die prekäre Selbsterhöhung gegen Ende des Gedichts, wo sich der Autor mit dem griechischen Tyrannen Polykrates identifiziert, einem enorm erfolgreichen Herrscher, der seine militärischen und politischen Erfolge mit einem um so tieferen Sturz ins Verhängnis bezahlen musste.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

0:00
0:00