Heinz Erhardts Gedicht „Anhänglichkeit“

HEINZ ERHARDT

Anhänglichkeit

Das Kind hängt an der Mutter,
der Bauer an dem Land,
der Protestant an Luther,
das Ölbild an der Wand.
Der Weinberg hängt voll Reben,
der Hund an Herrchens Blick,
Der eine hängt am Leben,
der andere am Strick…

1960er Jahre

aus: Das große Heinz Erhardt-Buch. Lappan Verlag, Oldenburg 2004

 

Konnotation

Als Großmeister des heiteren Kalauers und als dicklichen Pausenclown des bundesrepublikanischen Wirtschaftswunders hat man den Dichter und Komiker Heinz Erhardt (1909–1979) mehr belächelt denn bewundert. Wer jedoch seine Reime nur als Fließband-Ware eines biederen Kunsthandwerkers deutet, unterschlägt den teilweise anarchischen Sprachwitz und die existenzielle Bitterkeit seiner Dichtungen.
Ein schönes Beispiel für die als konstitutionelle Harmlosigkeit getarnte List, mit der Erhardt seine Leser in Sicherheit wiegte, um dann in grimmiger Lakonie eine sarkastische Pointe zu setzen, liefert sein Versuch über „Anhänglichkeit“. Die poetische Begriffserklärung kommt zunächst als Melange aus lockerer Beiläufigkeit und Banalität daher, um nach dem zitierten Kitschbild vom treuen Hund und seinem „Herrchen“ plötzlich in bösen Fatalismus überzugehen. Man ist auf gemütliche Reime eingestimmt, da öffnet sich unerwartet eine Falltür ins Bodenlose.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

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