Joseph von Eichendorffs Gedicht „Im Alter“

JOSEPH VON EICHENDORFF

Im Alter

Wie wird nun alles so stille wieder!
So war mir’s oft in der Kinderzeit,
Die Bäche gehen rauschend nieder
Durch die dämmernde Einsamkeit,
Kaum noch hört man einen Hirten singen,
Aus allen Dörfern, Schluchten, weit
Die Abendglocken herüberklingen,
Versunken nun mit Lust und Leid
Die Täler, die noch einmal blitzen,
Nur hinter dem stillen Walde weit
Noch Abendröte an den Bergesspitzen,
Wie Morgenrot der Ewigkeit.

1839

 

Konnotation

In einem seiner späten Gedichte hat hier Joseph von Eichendorff (1788–1857) noch einmal alle Elemente seiner romantischen Verzauberungskunst mobilisiert: Eichendorff, der schon früh ein Dichter des Morgenrots gewesen ist und der permanenten Verheißung der Natur als Refugium, verwandelt in seinem 1839 entstandenen Alters-Gedicht alles in reinen Gesang: Die Stille, das Rauschen der Bäche, das Klingen der Glocken, die aufleuchtende Landschaft – auch hier „vergeudet sich das Ich an das, wovon es flüstert“ (Theodor Adorno).
In einem Gedicht aus der gleichen Periode vermerkt Eichendorff in einer Art lyrischem Dankgebet, „dass… die Jugend mir bis über alle Wipfel in Morgenrot getaucht (war) und Klang“. Dieses Morgenrot wird zu einem Symbol der Erlösung, gebunden an die Vorstellung der Ewigkeit. In die Kinderzeit projiziert der romantische Dichter jene paradiesische Sphäre, in der nach einem Wort des Philosophen Ernst Bloch noch niemand war, die aber allen „in die Kindheit scheint: Heimat.“

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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