Matthias Polityckis Gedicht „Touristen“

MATTHIAS POLITYCKI

Touristen

Immer sitzen sie vor den falschen Cafés
und warten auf die große Fremde,
immer finden sie alles zu teuer,
immer, im Vergleich zum Prospekt, enttäuschend:
Man kann’s ihnen einfach nicht recht machen.

Immer sind es ihrer zu viele
und reich gesegnet obendrein mit Socken,
immer stellen sie die gleichen Fragen,
immer versichern sie einander der gleichen Antworten:
Sie können’s uns einfach nicht recht machen.

um 2000

aus: Matthias Politycki: Ratschlag zum Verzehr der Seidenraupe. Hoffmann & Campe Verlag, Hamburg 2003

 

Konnotation

In einer polemischen Privatstatistik hat der 1955 geborene Matthias Politycki die drei Hauptsünden der deutschen Gegenwartslyrik aufgezählt. Als da wären: a) Orakeln, b) Plappern, c) Moraltrompeten. Politycki dagegen gefällt die ironische Zurüstung der Welt und die Demontage des Erhabenen durch Komik. Er bevorzugt daher einen antipathetischen, auf die Tücken und unfreiwilligen Slapsticks des Alltags zielenden Ton. In seinen Reisegedichten erscheint der Dichter oft als tragikomischer Weltreisender, der weniger seine Erfahrungen, als vielmehr seine „Konfusionen“ vermehrt.
Der Spott trifft in diesem um das Jahr 2000 entstandenen Gedicht die bestgehassten Feinde aller großen Reisenden: die Touristen. Aber Politycki verweist nicht nur auf die Jämmerlichkeit der touristischen Bedürfnisse, sondern reflektiert auch das standardisierte Lamento all derer, die nur in den anderen Mitreisenden den Touristen erkennen wollen und sich selbst aber – zu Unrecht – über deren Verhaltensmuster erhaben fühlen.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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