Nikolaus Lenaus Gedicht „Bitte“

NIKOLAUS LENAU

Bitte

Weil’ auf mir, du dunkles Auge,
Übe deine ganze Macht,
Ernste, milde, träumerische,
Unergründlich süße Nacht!

Nimm mit deinem Zauberdunkel
Diese Welt von hinnen mir,
Dass du über meinem Leben
Einsam schwebest für und für.

vor 1833

 

Konnotation

Wie so viele Romantiker ist Nikolaus Lenau (1802–1850), dessen bürgerlicher Name Nikolaus Franz Niembsch war, seit 1821 Edler von Strehlenau, ein Liebhaber der Nacht und des Traums. Das „dunkle Auge“ der Nacht erscheint in dem vor 1833 entstandenen Gedicht als Fluchtort, ja als fast paradiesisches Refugium des Glücks, das einen schützt und erlöst von den Widrigkeiten der Tagwelt.
Das Dunkel der Nacht wird in der zweiten Strophe sogar zum verlässlichen Himmelskörper stilisiert, der die Bedrängnisse der Tages-Wirklichkeit löscht. Nikolaus Lenau selbst hatte allen Grund, vor den Qualen der „Welt“ zu fliehen. Zeit seines Lebens litt der Dichter unter schweren Depressionen, er begann 1832 ein unstetes Wanderleben, das ihn nach Amerika führte, von wo er ein Jahr später völlig desillusioniert zurückkehrte. 1844 schließlich, nach jahrelanger immenser Rastlosigkeit, erlitt Lenau einen Zusammenbruch und versank im Wahnsinn.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

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