Rainer Brambachs Gedicht „Wirf eine Münze auf“

RAINER BRAMBACH

Wirf eine Münze auf

Jener metallene Ton,
der im Ohr aufklingt, sekundenlang,
bedeutet Glück oder Unglück
oder keines von beiden.

Vielleicht hebt jemand sein Glas
und spricht von dir,
ohne Aber und Wenn –

Quer durch den Wald
oder die Schneise entlang?
Antenne und Tanne sind Nachbarn.
Entscheide dich, es dunkelt.

Im Zweifel wirf eine Münze auf.
Kopf oder Zahl,
was wählst du?

1977

aus: Rainer Brambach: Gesammelte Gedichte. Zürich, Diogenes Verlag 2003

 

Konnotation

Das kleine Exerzitium, das Rainer Brambachs (1917–1983) lyrischer Protagonist hier absolviert, muss man philosophisch wohl eine Kontingenz-Übung nennen. Denn es geht um die Deutung von eher zufälligen Lebenskonstellationen im Hinblick auf ihre schicksalhafte Notwendigkeit. Kleine akustische Signale oder ein Münzenwurf werden hier in ihrer Orakel-Funktion vorgestellt. Jedes noch so unbedeutende Alltagsdetail könnte aus dieser Perspektive über die Richtung des Daseins entscheiden. Der Dichter bleibt jedoch skeptisch – und stellt nur Fragen.
Der Text des passionierten Gartenbauarbeiters und Dichters Brambach, der später zum Titelgedicht eines 1977 publizierten Gedichtbands wurde, spricht von den elementaren Entscheidungen, die jeder Mensch zu treffen hat, wenn er über die Richtung seines Lebens bestimmen will. An ein übergeordnetes Schicksal, das zeigt die dritte Strophe, lässt sich die Notwendigkeit einer eigenen Entscheidung nicht delegieren.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

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