Rolf Haufs’ Gedicht „Ein Jahr fast um“

ROLF HAUFS

Ein Jahr fast um

Du fragst was ist ich sage nichts
Was soll denn sein. So auf dem Stuhl
Mit Pfeifenrauch zu sitzen einem
Aspirin

Was wird denn sein. Wie du mir
Wie ich dir. Ich zähl die Stunden
Ein Jahr fast um

Das Zimmer kühlt schnell aus. Du hast
Vom Wald erzählt, der früh sich färbt
Ich schreib noch einen Brief.

1994

aus: Rolf Haufs: Aufgehobene Briefe. Ausgewählte und neue Gedichte. Zusammengestellt u. m. einem Nachwort v. C. Buchwald. Carl Hanser Verlag, München 2001

 

Konnotation

Man sieht den Dichter zunächst nur in quietistischer Ruhelage, wie er sich seelenruhig sein Pfeifchen und die Muse der Kontemplation gönnt. Nirgendwo lauert Gefahr, nur die Wiederkehr des Immergleichen und das langsame Auskühlen seines Refugiums scheinen das lyrische Ich zu irritieren. Aber die Idylle trügt. Der hier in der leeren Alltagszeit „die Stunden zählt“, ist ein Melancholiker, gefesselt an eine Seelenlähmung, die ihn zur Handlungslähmung verurteilt.
Eine so wortkarge Daseins-Inventur kann nur von Rolf Haufs (geb. 1935) stammen, der „das heilige Spiel Melancholie“ seit seinem poetischen Debüt Straße nach Kohlhasenbrück (1962) immer mehr verfeinert hat. In diesem 1994 erstmals veröffentlichten Gedicht wirft ein schwermütiger Hieronymus im Gehäus in seiner Einsiedelei letzte Blicke auf das Dasein. Das Ich verzeichnet „Ein Jahr fast um“ – als sei der Geburtstag des Autors am letzten Tag des Jahres ein Anlass gewesen, um das vertraute Vanitas-Gefühl und den Schrecken vor der Leere zu mobilisieren.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

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