Sigmund von Birkens Gedicht „Das Hertz ist weit von dem / was eine Feder schreibt.…“

SIGMUND VON BIRKEN

Das Hertz ist weit von dem / was eine Feder schreibt.
Wir dichten im Gedicht / daß man die Zeit vertreibt.
In uns flamt keine Brunst / ob schon die Blätter brennen
von liebender Begier. Es ist ein blasses nennen.

ca. 1650

 

Konnotation

Es ist eine eminent moderne Erfahrung, die hier Sigmund von Birken (1626–1681), einer der produktivsten Dichter des Barock, in einem Vierzeiler komprimiert hat: die Differenz zwischen dem unmittelbar sinnlichen Begehren eines Liebenden und der schriftlichen Aufzeichnung, die diesem Begehren gewidmet wird. Obwohl doch gerade das Liebesgedicht die Distanz zwischen einem schreibenden Ich und dem geliebten Du aufheben will, bleibt die textuelle Verwandlung einer Liebespassion bloßes Bezeichnen, kalte Herzensschrift.
Hier wird schon als literarisches Gesetz formuliert, was später die Dichter der Moderne immer wieder thematisieren: Die Unmittelbarkeit des Gefühls ist durch die Schrift nicht umsetzbar, dem Liebesfeuer der lyrischen Blätter entspricht kein Text-Begehren, sondern nur ein sprachlicher Akt: das „blosse Nennen“.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010

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