Unbekannter Autor Gedicht „Der Lorscher Bienensegen“

UNBEKANNTER DICHTER

Der Lorscher Bienensegen

Christ, der Schwarm ist heraus!
aaaaaaaNun fliegt, meine Tiere, hierher:
Kommt im Frieden des Herren
aaaaaaaheil in Gottes Schutz heim!
Setz dich, setz dich, Biene,
aaaaaaaso gebot dir Sancta Maria.
Erlaubt zu gehen sei dir nicht,
aaaaaaahin zum Walde flieg du nicht!
Dass du mir nicht entwischst
aaaaaaaund du mir nicht entschwindest!
Sitz ganz still, tu, wie’s Gott will!

10. Jahrhundert

 

Konnotation

Die deutsche Dichtung beginnt im zehnten Jahrhundert mit einer Fülle von kürzeren Texten, die man aufgrund ihres naturmagischen Inhalts und ihrer appellativ-beschwörenden Form als „Zaubersprüche“ klassifiziert hat. Der „Lorscher Bienensegen“ ist eins der ältesten Zeugnisse eines gereimten althochdeutschen Gedichts. Das Gedicht beginnt mit einem Schreckensruf: Der unbekannte Autor bittet einen ausgeflogenen Bienenschwarm, möglichst unversehrt heimzukehren.
Die Produkte der Honigbiene waren für den mittelalterlichen Menschen ein kostbarer, unverzichtbarer Stoff. So erklärt sich auch die Anrufung von Christus, die hier nicht in Form eines Gebets, sondern in einem dringlichen Appell erfolgt. Der Text ist im benediktinischen Reichskloster Lorsch nördlich von Heidelberg entstanden. Der anonyme Verfasser, der im althochdeutschen Original erstmals unreine Endreime verwendet, hat den Spruch auf die freie Stelle eines Pergamentsblatts geschrieben, das sich in einer Predigtsammlung des Kirchenvaters Augustinus befand.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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