Oliver Mertins: WAS KAM UND WAS BLIEB

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Oliver Mertins: WAS KAM UND WAS BLIEB

Mertins/Mertins-WAS KAM UND WAS BLIEB

EPITAPH

Arm war ich an Dingen und reicher an Menschen im
aaaaaLeid,
kaum etwas gab es das ich schenken konnte und
aaaaaberührbar war,
nicht dies Papier, besät mit Knoten und mit
aaaaaschwarzem Feuer,
da ich keine wachen Sinne fand und nirgends sang als
aaaaain den Zeichen,
nicht diese Bücher an der Wolkenwand, da ihre Stimmen
aaaaaEigentum
allein des Herzens sind und keinem Namen angehören,
nicht dieses Bett das in der Luft hängt,
da ich nirgends Heimatboden fand und nur behaust war
in der Sprache, darin ich wohnte mit den toten
und keine Antwort mich erreicht von Lebenden, von Zeitgenossen
als Schmähungen, verschweigen und der Freunde trautes Murmeln −
doch – meinen Leib – mit dem ich um die Liebe rang
bis sich beide gegen mich verschworen, da ich unbedingt
dem Wort gefolgt, den flüsternden Rätseln der Dichtung,
bis zu den Einsturzquellen der Erfahrung, wo die Quellen, geläutert
von den Wurzeln der Sprache, neu entspringen, heraufbringend Erinnern.

Arm war ich reich und zu stehen kam ich keinen teuer,
nicht einen Baum, da ich kaum zwei starke Äste besungen,
nicht einen Freund, treu dem Gespräch verdungen,
nicht meinen Heimatherd, der mir die Sprache war
daran ich gehütet die singende Asche der Toten –
doch – dunkle Blüte, meine Frau – vor der ich gefallen
da ich um Hoffnung ruhelos mit ihr gerungen
bis ich beide, eines im andern, verloren hatte an den Hunger,
da ich unbedingt dem Wort gefolgt, dem Wort gefolgt,
den flüsternden, den raunenden Rätseln der Dichtung,
darin ihr, meine Spur betastend, findet von meinem Fall zum Staub
den Widerhall und meine Stimme, mein Gesicht, nicht in den Worten
meiner Zeitgenossen, nur dort im Licht der Einsturzstellen
wo die Quellen entspringen und die Wurzeln singen
geläutert der Sprache heraufbringend Erinnern.

 

 

 

Das ist mein Freund Oliver

Er war schon von früh an zu groß für die Gestelle, die uns umgeben und blickte über sie hinaus in äußere und innere Weiten. Seine öffentliche Biographie gibt einiges her, was Sehnsüchte und Neugierden weckt – Boxer, Einbrecher, Trickdieb, Bäcker in Kashmir, Hilfsarbeiter im Tabak, ausgedehnte Reisen, Augenzeuge von Pogrom und Bürgerkrieg; Charakter und Dichtung erhalten durch die bestandenen Gefährdungen sicherlich zusätzliche Wahrhaftigkeit. Sicher aber ist, daß beide nur wachsen konnten im Angesicht des Schrecken, durch die tiefe Verwurzelung des Dichters in der Sprache, die er als seine einzige Heimat in einer heimatlosen Existenz bezeichnet. Was Ossip Mandelstam dem Vers Jessenins – Hab keine Unglücklichen erschossen in den Gefängnissen – folgen läßt, sei auch Mertins’ Vers – da ich keinen Menschen verraten in Zeiten der Lüge – wie seinem ganzen Werk nachgesagt. Dies ist ein Symbol der Zuversicht, dies ist der authentische Kanon eines wirklichen Schriftstellers, des Todfeindes der Literatur.
Und nichts ist naheliegender, als Ossip Mandelstam zu zitieren, denn diese beiden O. M. sind einander in ihrer Poetik eines beharrlichen Hellenismus, dem Preisen von Sprache und Gespräch im Angesicht einer katastrophalen Zeit innig verbunden. Eine Häuslichkeit des Wortes, die ihm erst eine wahrhaftige, selbstbestimmte Öffentlichkeit ermöglicht, ist die Grundlage des vorliegenden Werkes, das unablässig, zugewandte Gespräch, das hier erklingt, ist als wirklich persönliches, durchdrungenes und duchdringendes auch immer epochal erhöhtes, wie in dem erschütternden Gedicht – SO – die Agonie der Liebenden gleichzeitig die Agonie aller menschlichen Beziehungen unserer Zeit aufreißt und mit treibendem Rhythmus, in dem Unausweichlichkeit und Geschwindigkeit des Rilkeschen Torso Apollons stellt – das Leben zu ändern – und nicht nur das eigene. Denn dieses eigene Leben erscheint im gesamten Buch niemals außerhalb des geschichtlichen Kontextes, der eingewebt jedes Du durchwirkt. Und so wie das Du hier keine Monade bezeichnet, so ist auch das sprechende Ich ein Gewebe von Stimmen, eine Textur, die eine häusliche, gemeinschaftliche, der Entfremdung und Zerstörung widerstehende Kultur vertritt und entgegenhält einen luziden Eros dem stampfenden Todeswahn unseres Jahrhunderts. Es ist ein Kanon von Stimmen, der hier ertönt, Stimmen, die in ihrem Gleichklang deutlich werden, durch ihre Forderung im Wort und ihrem Beispiel in der Existenz, ihrem Einstehen für ein anderes Sein, es ist ein Gespräch unter Dichtern, zu einem Lied, einer Gestalt gewachsen, denen zugesprochen, die noch hören können, ohne sich ihrerseits in den Gesang zu befreien, um das fremde Lied in ihnen erklingen zu lassen als eines, das auch ihnen zueigen.
Welche Komplexität und Tiefgründigkeit sich unablässig gestaltet hinter treibenden Rhythmen und einer Musikalität aus vielfältigen und verborgenen Binnenreimen, die vermittels ihrer Sinnlichkeit den Sinn der Worte unter das Bewußtsein des Lesers führt, führt der Dichter im Text – AM PAZIFIK – exemplarisch vor. Eine Naturskizze, darin Mertins seine Stimme und ihren Wirkungsablauf verdeutlicht, doch auch hier Komplexität und Bedeutungsgeflecht, unaufdringlich, kaum erstmal mehr als ein Rätsel hinter Deutlichstem: als Warnung vor der Leichtfertigkeit des Lesens wird die Zäsur von Elytis sinnfällig anverwandelt, um die verschiedenen Bedeutungsbezüge einzelner Textteile, ihre vieldimensionale Struktur aufzuzeigen, und damit auf die anderen Gedichte mitverwiesen. Nicht genug aber dieser immanente Verweis, es wäre nicht exemplarisch dieses Wortgitter, erschienen in ihm nicht andere Dichterstimmen, die erst seine tiefste Bedeutungsschicht offenbaren, verborgene Zitate von Wallace Stevens und Ossip Mandelstam. Da Oliver Mertins hier seine Stimme charakterisiert, ist der offensichtlichste, deutlich kennzeichnende Zitatverweis auf Mandelstams – VIERTE PROSA – ganz allein in Rußland arbeite ich nach meiner Stimme – sinngebend, erst hierdurch ist die Landschaft zu verstehen, sind die Papageien die plappernden Literaten, die schweigen im anbrechenden Gewitter, ist das wütende Hundegebell eine der Stimmen des Dichters, ist die Landschaft Geschichte und der Raum somit Zeit geworden.
Dieses Buch mit dem testamentarischen Titel – WAS KAM UND WAS BLIEB – persönlich und epochal, ist auf gedrängtesten Raum Testament unserer Kultur in unserem Jahrhundert. In ihm sind Gulag, Faschismus, Militärdiktatur, Zerstörung von Natur und menschlichen Beziehungen, die Grundstruktur, auf der sich die berufenen Widerstände erheben, die Zuwendung, das Gespräch, die Versöhnung, die Beharrlichkeit und unverkäufliche Moralität im Namen eines würdigen, allem Seienden verbundenen Lebens. Dies in Gesang verwandelt, entwickelt eine kraftvolle Tiefe, die Hoffnung stiftet hinsichtlich der Wiedergeburt des Menschen aus seinem Traum der Ohnmacht.
Wenn man mich fragt – was kam und was blieb, antworte ich: dieses Buch, und es wird bleiben, weil es gewissenhaft und mit höchster Kunstfertigkeit wie kein mir bekanntes unserer Zeit singt von Bedrängnis, Tragik und Widerstand unserer Existenz. Für mich ohne Zweifel die bedeutendste lebende Dichterstimme der deutschen Sprache. Man halte es also mit den Blinden und höre genauer!

Stephan Krawczyk, Vorwort

Anstelle der üblichen Kurzbiographie – AUTOSKIZZE

Große Sänger leiden im Grunde genommen an Atemnot. Ich singe, um nicht zu ersticken an den unseligen Geschenken meiner Zeit, darin sich mein Geschick erhebt als Distelblüte. Meine Stimme reinigt die todgetränkte Luft gerade genug, mich und einige Angehörige meiner in der Zeit verstreuten Familie atmen zu lassen. Mit hat die Asche den Namen verliehen und als Patengeschenk das Haar durchflochten mit den verzweigten Gesprächen von Amseln und Nachtigallen. Die Sprache meines Blutes ist baltisch verschlüsselt. Der Tod wartet auf mich in einem Zimmer unter dem Dach, am ende eines langen Flures voller Staub, wo er sich mir mehrmals auf die Brust gelegt, deshalb habe ich mir ein Bett auf der Straße bereitet und betrachte ihn argwöhnisch, trotz allem hoffnungsvoll, ihm ein Wort des Zuspruchs abzugewinnen. Ich erinnere bis zu sieben Träume nach dem Erwachen. Einmal betrat ich im Schlaf gemeinsam mit einem Freund ein Gebäude, welches DIE KIRCHE AM ENDER DER ZEIT hieß und durch dessen Fenster an der Rückfront ich ihm das Paradies zeigte, ein weiterer Weggefährte, der uns erwartete auf halbem Wege, schlug sich mit der Hand an die Stirn, als ich ihm erzählte, was ich unternommen, und rief aus – Du Idiot, wie konntest du ihn dahin führen, jetzt finden wir den Weg nie mehr zurück! – und wirklich, verloren liefen wir durch einen endlosen und unbekannten Hohlweg zwischen schwindelerregenden Bergen aus Fels und Schnee. Gereist bin ich weit, in Gestellen und zu Fuß, doch verhüllte mir bis auf wenige Momente unablässig meine Heimatlosigkeit wie eine Krankheit die Sinne. In meinem einundzwanzigsten Jahr legte unmerklich die Spinne des Sommers, aus schwitzenden Rosen und brennenden Rebstöcken gekrochen, ihre schwarzen Eier in mir ab und kaum war ich aus der Gaststätte getreten, stürzten alle Orte, die ich durchschritten, über mir zusammen, die Welt stellte sich auf den Kopf und ich wurde begraben in den hölzernen Armen einer Fremden, die ich noch immer mit den Namen der Liebe rufe. Eine singende Flamme aus Angst und Sehnsucht, entfachte ich sie, bis der Haß in ihren Augen lohte. Ich suchte ein Dach für die Liebe und fand ein Grab, Stätte von Blitz und Nebel, darin ein Mysterienspiel tanzender Masken dem Totenbuch entstieg. Ich suchte ein Dach für die Liebe und fand Entlohnung dafür zum Preis einer Nacht. Verstattung den Gesängen der Glieder suchte ich, statt dessen war es diese Nacht aus weindunklen Schluchten, die mich erreichte, sie tat mir einen Leib auf, der sich verzehrte, und die Liebe fand ihre Hölle dort. Doch auch in den Abgründen, inmitten der Darbietungen des Todes blüht es und süßt die Luft mit Jasminschwaden. Deshalb hätte auch diese Karstpflanze, dieser Schluchtenstrauß gewiß, nach dem Ausschlagen, Früchte getragen, in Feuer getaucht, wären wir nicht umlagert gewesen von seltsamen Vögeln, welche den Boden mit dem Salpeter ihrer Ausscheidungen unfruchtbar machten. Es waren zurechtgestutzte Papageien zumeist, deren einer der Gattung Gornfelds, ein Kakadu mit schwarzem Häubchen, zuviel Bierflaschenphilosophie zu sich genommen und auf der Stange schwankend sich Erzengel gewähnt. Er hing meinem Schlaf an den Lippen und versuchte diesem Geständnisse abzulauschen, doch vernahm er nur die Brandung der Meere, welche ihm unentzifferbar lieb, nicht umsonst war er in einer Volière aufgewachsen. Kurzen Flügels stellte er mich daraufhin unter Mondanklage, befand mich für schuldig, schlug mich ans Fensterkreuz und machte sich an meiner Leber zu schaffen. Das Holz indessen war mürbe und ich stürzte auf die Straße, die mir bis dahin der Himmel gewesen, meine Frau warf mir meine wenigen Habseligkeiten hinterdrein und einen essiggetränkten Schwamm der mich mitten im Gesicht trag. Diese erfrischende Geste ließ mir die Welt endlich wieder auf die Füße stürzen und als mich meine Freunde auffanden, richteten sie mich neu ein im Zimmer meiner Knochen. Selbstredend reiste ich nun wieder, konzentrierte mich dabei aber vornehmlich auf wenige Kontinente: mein Zimmer, die Sprache, die Herzen. Wo mein Hunger keine Nahrung findet, ist für mich nach wie vor kein bleiben. Seit meiner ersten Kenntnis der Frucht suche ich nach einer Liebe, die neuer als der Durst ist und treffe stets auf den jüngsten Hunger. Dieser bleibt mir treu wie eine Syrerin und schläft mir zur Seite mit Holunderaugen und Rabenhaar. Manchmal mahlt er so laut mit den Zähnen, daß ich erwache. Was mir von ihm zueigen, verteile ich weiterhin wie Brot, eingebacken die Feile der Sprache, an jene, denen die Ketten noch nicht ins Fleisch gewachsen. Voller Abscheu habe ich einige Verbrechen begangen, um mich mancher Buckligen zu entledigen, die mir ihre Beine um den Hals geschlungen. Voller Verlegenheit weine ich, wenn mir der Wind ihr Keifen zuträgt, da sie langsam erschlagen werden von den Früchten der Kastanien, an deren Stamm ich sie abgestreift, als ihre Blüten noch wie Lutschstangen leuchteten in der Auslage des Himmels. Ansonsten lebe ich zeitlos in der intimen Fröhlichkeit meiner Nacht, wo die Grillen dem Mond zum Tanz aufspielen, der Wind mit den alten, sterngeschmückten Laubbäumen schunkelt, die Nachtfalken pfeifen, die Marder zur Vesper auf den Keilriemen johlen, die Worte von fruchtschweren Ästen wachsen direkt in den Mund und die Milch singt frivol in schweren Brüsten, was mich ohne weiteres zufriedenstimmte, wäre da nicht das erste Lied meines Lebens, von meiner Mutter gesungen, das alte Maikäferlied, welches mir nicht aus dem Kopf gehen will.

Oliver Mertins

 

 

Christiane Gaebert: Was kam und was blieb. Wer war Oliver Mertins?

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Nachruf auf Oliver Mertins: collegium novum

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