Rosmarie Waldrop: Das Proben der Symptome

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Rosmarie Waldrop: Das Proben der Symptome

Waldrop-Das Proben der Symptome

DENKEN

Ich glaube, ich weiß nicht, wie man es anfängt.

Ich sitze am Ufer. Als wäre es der richtige Ort, um denken zu lernen.

Als wäre es genug, sich im Strom mitzubewegen. Entscheidungsunfähigkeit? Bleiben? Weggehen? Nachgeben? Den Sanddünen, die verblassen und flach werden? Oder ein schneller Stoß in die Höhe? Wenn ich nicht gehen kann, könnte ich noch, vielleicht, wie Leute mit Parkinson, tanzen?

Die rastlose Tätigkeit meines Gehirns erscheint fruchtlos. Das kann unmöglich Denken sein. Ich lege es auf Papier hin, um ihm außerhalb meiner selbst zu begegnen. Ein Hindernis. Eine Wand mit einer Körnung, mit Poren, wo ich ein Muster erkennen könnte. Dann rufen mich die Beine in den Körper zurück, sie sind eingeschlafen.

Wie kann ich denken, wenn ich nicht einmal sehen kann, in der schnell hereinbrechenden Nacht, die um mich herum weht und wechselt wie Wasser. Kann man das Nichts betrachten und auf Hilfe hoffen?

Geht es darum, sich mit der Dunkelheit mitzubewegen? Monoton? Ich aber rase oder bremse ab, diese ganze lange Allee entlang, wo sich das Denken in Staubschichten verliert, an Präzision scheitert. Nicht sehen, nichts umfangen. Die kreisenden Möwen. Der riesige, leere Raum. Verkehrslärm, vom Wind hereingetragen.

Soll ich meine Kleider ausziehen, da Nacktheit Macht ist? Würde ich aber meinen Körper kennen, wie er zwischen Erinnerungen verstreut ist? Unmöglich, sie alle auf einmal im Bewusstsein zu halten.

Wenn ich die Nacht meine Augen einnehmen lasse, bis an den Horizont? Als hätte sie einen Körper? Könnte ich dann den Grund sehen, aus dem ich nicht sehe?

Es könnte ein Anfang sein.

 

 

 

Das allerneueste Buch von Rosmarie Waldrop

erscheint zweisprachig als roughbook, zeitlich parallel zur deutschen Übersetzung eines frühen Werks, dem Roman The Hanky of Pippin’s Daughter bei Suhrkamp – eine Einladung, sich mit dem Gesamtwerk der Dichterin neu auseinanderzusetzen. Die 2019 erschienene Textsammlung zeigt Waldrop in Bestform, unvergleichlich fein, zügig, konzentriert, in treffsicheren Sätzen auf den Punkt bringend, was lange Essays verpeilen können. Ihre Kunst der Realisierung schenkt Motive und Wendungen, die das Herz wie mit dem Schraubenzieher umdrehen. Zugleich vertraut und fremdelnd mit Welt wie mit Jenseits, hält sie sich an den Worten fest, die ihr als Anker dienen, die wie Blätter sind, die sich im Wind drehen, in Haufen fallen, neu hervorkommen nach selbem Bauplan in frischen Jahren. „Alles Metaphysische,“ schreibt sie, „lebt in der Grammatik“, die Grammatik aber lebt im Körper, der Körper im Geist. Diese ménage à trois portraitiert sie hier in der guise von Symptomen, situiert in ihrem Leben, in Miniaturen, deren Statements alle Scharniere sind, Türen, Stimmen; wo die Wirklichkeit landen kann, mitten im Realismus, mitten in der Möglichkeit, mitten im gewissen, zeitoffenen Tod. Diese Sammlung von 11 „Symptomen“, einzeln wie als Ganzes frappierender Text, wird immer ärger, je öfter man ihn liest.

roughbooks, Ankündigung

 

 

Ich möchte

heute auf einen kleinen Titel aus der roughbooks Reihe des Urs Engeler Verlags aufmerksam machen. Es ist Anne Cottens Übersetzung des Lyrik-Bandes Das Proben der Symptome der amerikanischen Autorin Rosmarie Waldrop.
In dem schmalen zweisprachigen Bändchen nimmt Waldrop die Lektüre anderer Autor*innen, wie zum Beispiel Maurice Blanchot oder Rebecca Solnit, zum Anlass, den Symptomen nachzuspüren, die diese bei ihr hervorgerufen haben. Anders als bei anderen Texten dieser Art bleiben die Titel unbenannt, Zitate werden, wenn überhaupt, nur ganz subtil in den lyrischen Miniaturen aufscheinen. Viel stärker erkennt man Spuren einer fremden Syntax und Grammatik, die sich in ihrem Schreiben wie ein Thema manifestieren.
Ein besonders eindrucksvolles Beispiel ist dafür das Gedicht „Translating/Üebrsetzen“. Entsprungen ist es aus der Lektüre des Gedichts „Plot“ von Elizabeth Willis, dessen eigentümliche Zeitstruktur hier wieder aufgenommen wird. Alles kristallisiert sich um die Frage, was passiert zuerst? Zunächst beugst du dich über den Text und lernst den Schwindel, heißt es dort. Die so enigmatisch wie witzige Antwort zur Zeit der Übersetzung ist hingegen: Better translate than never.
Thematisch wie stilistisch führt also dieser Band mittenhinein in eine neue spielerische Aushandlung des Verhältnisses von Autorschaft und Übersetzung oder von Ursache und Symptom, wenn man so will. Ein Themenfeld, das sich auch in Cottens Werk wiederfinden lässt.
Eine andere Ann Cotten Übersetzung Waldrops ist für den Leipziger Buchpreis nominiert, der heute um 16 Uhr bekannt gegeben wird. Es trifft sich darüber hinaus perfekt, dass auch Friederike Mayröcker im Bereich Belletristik nominiert ist, deren Werk sich durch eine vergleichbare Faszination für das Grammatische und Syntaktische auszeichnet und deren Werke teilweise von Rosmarie Waldrop ins Englische übersetzt worden sind.

Theresa Mayer, Facebook, 28.5.2021

Weiterer Beitrag zu diesem Buch:

Jan Kuhlbrodt: Zu Rosmarie Waldrop: Rehearsing the Symptoms / Das Proben der Symptome
signaturen-magazin.de

 

 

Ann Cotten und Elfriede Czurda über Rosmarie Waldrop am 15.9.2022 in der Alten Schmiede, Wien

 

Fakten und Vermutungen zur Übersetzerin + KLG + FacebookPIA
Porträtgalerie: Autorenarchiv Isolde OhlbaumKeystone-SDA +
Autorenarchiv Susanne SchleyerBrigitte Friedrich Autorenfotos
shi 詩 yan 言 kou 口

 

Ann Cotten und Antye Greie alias AGF (EPHEMEROPTERAE IX), 2015.

Fakten und Vermutungen zur Autorin + Pennsound
Porträtgalerie: Autorenarchiv Isolde Ohlbaum
shi 詩 yan 言 kou 口

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

0:00
0:00