Rudolf Bussmann: Zu Barbara Köhlers Gedicht „Aufgabe“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

− Zu Barbara Köhlers Gedicht „Aufgabe“ aus Barbara Köhler: Blue Box. −

 

 

 

 

BARBARA KÖHLER

Aufgabe

Die Ordnung der Sätze
Hat Zukunft: sie wird
Gewesen sein Üben Sie
Die Möglichkeiten der
Ersten Person Einzahl
Als wäre das nur eine
Frage der Grammatik &
Würde ein Konjunktiv.

 

Wochengedicht #4: Barbara Köhler

Der Titel „Aufgabe“ ist wörtlich gemeint. Das Gedicht stellt eine Aufgabe, die es zu lösen gilt. Es lädt uns, die Lesenden, ein „die Möglichkeiten der ersten Person Einzahl“ zu üben. Eine Grammatikaufgabe steht ins Haus. Nun denn, was soll konjugiert werden? Die ersten Zeilen machen es vor: Es geht darum, einen Satz in die Zukunft zu setzen, genauer in die Vorzukunft. Die Aufgabe lautet: wie heisst die Formel sie wird gewesen sein in der ersten Person Einzahl? – Nichts leichter als das: ich werde gewesen sein.

Abgründe
Hoppla, das klingt nicht eben gemütlich. Einfach so in den Raum gestellt, allein und kommentarlos, ist der Satz von bestürzender Wahrheit. Nichts schützt mich vor seiner unerbittlichen Aussage. Um ihn versöhnlich zu machen, müsste ich ihm irgendeine Ergänzung zur Seite stellen. Morgen um diese Zeit werde ich beim Zahnarzt gewesen sein: Da fasse ich den Zeitpunkt ins Auge, an dem der Zahnarztbesuch hinter mir liegt und ich wieder frei atmen kann. Der Satz überspringt eine Spanne Zeit und landet jenseits des ungeliebten Termins auf sicherem Gelände. Ohne Beifügung jedoch, nackt wie das Gedicht ihn verlangt, hält er lapidar fest, dass ich einmal gewesen sein werde. Er verweist auf eine Zukunft, der ich nicht mehr als Lebender angehöre. Unausgesprochen spricht er von meinem Ende. „Üben Sie!“

Hat das Gedicht die Einübung in den Tod zum Gegenstand?
Barbara Köhler begleitet ihre Aufgabe mit der Bemerkung: Konjugieren Sie, „als wäre das nur eine Frage der Grammatik“. Das mag als Beruhigung gedacht sein. Aber der Satz steht nun einmal da und ist nicht nur Grammatik, sondern auch eine Aussage, die nicht einfach aus ihm heraus zu exorzieren ist. Die nachgereichte Bemerkung der Autorin könnte in anderen Worten auch lauten: Mein Lieber, du bist vergänglich. Aber vergiss es, das ist bloss so eine Redensart. Die wenigen Zeilen des Gedichts verschonen uns in der Tat nicht mit zynischen Aussichten. Auch die Ordnung der Sätze werde dereinst verschwunden sein, stellen sie in erbarmungsloser Offenheit fest. Nicht nur ich werde verschwinden, sondern auch meine, unsere Sprache. Diese hat zwar ein Futurum, aber keine Zukunft. Der Big Bang wird mit allem aufräumen.
Weg mit diesem Gedicht!

Rettung im Konjunktiv
Doch halt, es gibt da eine letzte Zeile. Die Anleitung ist nicht zu Ende, sie hält noch etwas bereit, das es zu berücksichtigen gilt: Modeln Sie den Satz so um, präzisiert sie, dass er „ein Konjunktiv würde“. Folgen wir dieser Zusatzklausel, erhalten wir die Formel ich würde gewesen sein. Die schaut schon viel besser aus. Und sie verlangt zwingend nach einer Fortsetzung: Ich würde gewesen sein, wenn…? Es gibt auf die versteckte Frage nur eine einzige Antwort, sie lautet kurz und bündig: wenn ich nicht noch immer da wäre. Der Satz bestätigt, dass ich lebe. Er erwägt zwar die Möglichkeit, dass es anders sein könnte, doch nur um sie entschieden zu verwerfen. Gerade durch den Irrealis wird mir meine Existenz indirekt bescheinigt.
Aber ein ganz sicherer Hafen ist dieser Irrealis auch nicht. Enthält die letzte Zeile nicht eine leise Warnung? Liebe Lesende, scheint sie zu sagen, mit der veränderten Verbform ist leider wenig gewonnen; bedenken Sie, dass „würde (bloss) ein Konjunktiv“ ist und nichts an Ihrer Sterblichkeit zu ändern vermag. – So ist der Schluss zugleich eine Versöhnung mit dem Leben als auch eine Mahnung, das Ende nicht zu verdrängen, und die Übung als ganze ist eine Aufforderung, beides nicht aus den Augen zu verlieren. Zumindest so lange, bis wir gewesen sein werden.

Rudolf Bussmann, TagesWoche, 30.4.2012

Fakten und Vermutungen zum Autor 

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