Joachim Sartorius: Zu Barbara Köhlers Gedicht „Ingeborg Bachmann stirbt in Rom“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Barbara Köhlers Gedicht „Ingeborg Bachmann stirbt in Rom“ aus Barbara Köhler: Deutsches Roulette. 

 

 

 

 

BARBARA KÖHLER

Ingeborg Bachmann stirbt in Rom

Ein Tod kommt
vor dem andern.
Atem und Rauch.
Und Rauch der Atem löscht.
Und Schweigen.

Manchmal ist aber eine Zigarette
der letzte Halt. Und hält
was sie verspricht auch schneller.
Zwischen vergilbten Fingern
brennts wie Liebe wird Asche
wie Verrat. Atem und Rauch.

Die Schwurfinger gekrümmt
um die Zigarette: um
nicht abzuschwören.
Giordano brennt auf dem Campo de Fiori.
Die Glocken von Santa Maria Maggiore
gellen noch immer zum Autodafé.

Atem und Rauch.
Und Rauch der Atem löscht.
Und mit verbrannter Hand
über das Feuer schreiben.
Und die Grenzen der deutschen Sprache
sind mit mörderischen Zufällen vermint.
Ein Tod kommt dem andern zuvor.

 

Die Sprache hat sie nicht gerettet

Dieses Gedicht, im vielbeachteten ersten Buch Deutsches Roulette der in Leipzig und Chemnitz groß gewordenen Barbara Köhler, hat sich seine Streben selbst eingezogen. In der ersten, zweiten und letzten Strophe lesen wir:

Atem und Rauch.

Zweimal wird dieses Leitmotiv ergänzt durch:

Und Rauch der Atem löscht.

Es geht dabei, vordergründig und ganz konkret, um den Tod von Ingeborg Bachmann in Rom, wie uns der Titel des Gedichtes verspricht. Am 17. Oktober 1973 stirbt die Dichterin, nachdem sie – die Umstände des Todes sind immer noch nicht restlos geklärt – mit qualvollen Verbrennungen in ihrer römischen Wohnung gefunden wurde und trotz intensiver Behandlung in einem römischen Krankenhaus nicht mehr zu retten war.
„Zwischen vergilbten Fingern / brennts wie Liebe wird Asche / wie Verrat“ heißt es in dem Gedicht, das in einem für die Bachmannsche Lyrik typischen Wechselspiel von konkreten Nennungen (vergilbte Finger, Asche) und abstrakten Empfindungen (Liebe, Verrat) einen knappen Lebensbogen spannt. Die berühmte, angefeindete, bewunderte Dichterin, von Anfang an eine Hinübergehende, ist verwundet im Innern ihrer Seele, zeitlebens schon, und kommt darüber nicht hinweg. Die Raucher unter uns – und Ingeborg Bachmann war eine passionierte Kettenraucherin – können sich das gut vorstellen: nachts, allein, rauchend, das eigene Leben Revue passieren lassend.
Doch gibt es in diesem Gedicht noch eine andere Dimension, welche über das Persönliche weit hinausgeht. Ingeborg Bachmann hat sich nicht nur an ihrem eigenen Leben, an dem Leiden des Schreibens verbrannt. Sie hat am Land ihrer Herkunft, an Österreich, gelitten, „einem kleinen Land, das aus der Geschichte ausgetreten ist und eine übermächtige, monströse Vergangenheit hat“, wie sie in einem Interview schon 1963 bekannte. Dies komplizierte ihr Verhältnis zur deutschen Sprache, in der sie schreibt und in der auch Paul Celan, mit dem sie eine nicht nur literarische Liebe verband, und Nelly Sachs schrieben und schreiben mußten. So wird das Gedicht auch ein Gedicht über die deutsche Sprache. Grundsätzlich glauben Dichter an das Wunder des Wortes. „Zufälle“ tragen mitunter sogar zu ihrer Schönheit bei. Was heißt also:

Und die Grenzen der deutschen Sprache
sind mit mörderischen Zufällen vermint
?

Es hilft uns ein Zitat aus Ingeborg Bachmanns Roman Malina weiter, das Barbara Köhler ihrem Erstling vorausgestellt hat:

Die Sprache ist die Strafe. In sie müssen alle Dinge eingehen, und in ihr müssen sie wieder vergehen nach ihrer Schuld und dem Ausmaß ihrer Schuld.

Daran hat Ingeborg Bachmann fest geglaubt. Sie wollte „Sätze haltbar machen“, heißt es in ihrem Gedicht „Wahrlich“ für Anna Achmatowa – jenseits aller privaten Friedens- und Kriegsspiele, jenseits auch ihres Besuches von Auschwitz im Mai 1973, der in der Beschreibung der Gaskammer in Malina seinen Ausdruck fand. So wird zum Zentrum dieses Gedichts die Mahnung, „nicht abzuschwören“. Der Liebe nicht und nicht dem Glauben an die Sprache.
Giordano Bruno, der im Jahre 1600 auf dem Campo de Fiori verbrannt wurde, ließ auch nach langjähriger Haft nicht von der Überzeugung ab, daß die Unendlichkeit des Weltalls die Annahme verbiete, Gott könne nur Endliches geschaffen haben. In Barbara Köhlers Gedicht wird der verbrennende Giordano Bruno zum Kronzeugen der verbrennenden Ingeborg Bachmann. Santa Maria Maggiore, eine der sieben Hauptkirchen Roms, läutete zum Autodafé, zur Vollstreckung also des von einem Gericht der Inquisition gefällten Urteils, wenn es dem Vatikan nicht ziemlich schien, daß die Glocken des Petersdoms „gellen“. Giordano Brunos Verbrennung setzt sich so unter schrillem Geläut fort bis zum Tod durch Feuer der österreichischen Dichterin – einem Unfall, einem mörderischen Zufall. Die Sprache hat sie nicht gerettet, hat sie einsam gemacht und letztlich verstummen lassen.

Joachim Sartoriusaus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Achtundzwanzigster Band, Insel Verlag, 2005

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