Thomas Rosenlöchers Gedicht „Der Klappstuhl“

THOMAS ROSENLÖCHER

Der Klappstuhl

Im Schuppen ein Klappstuhl, letztes System.
Aufklappen klappt. Abklappen glückt.
Nur daß er, ehedem bequem,
jetzt Riefen in den Hintern drückt.

Komfort, Tortur! Die Wirkungsmacht
der Gegenwart? Galt, gilt nichts mehr.
Und wer was gilt, heißt easy chair.
Hat ihn das derart hart gemacht?

Der Klappstuhl diskutiert die Frage:
so er – ich hart? Dein Weichgesäß
entwickelte sich zeitgemäß –

als knarrende Personenwaage
sacht unter mir zusammenkracht.
Im Gras noch lange nachgedacht.

1998

aus: Thomas Rosenlöcher: Am Wegrand steht Apollo. Insel Verlag, Frankfurt am Main/Leipzig 2001

 

Konnotation

Das romantische Erbe Joseph von Eichendorffs ist bei dem 1947 geborenen Dresdner Dichter Thomas Rosenlöcher in besten Händen. Die Sehnsucht nach einer unversehrten, erhabenen Natur wird in seinen Elegien und Idyllen ebenso aufgerufen wie auch ironisch konterkariert. Die alten Versmaße, all die Distichen, Alexandriner oder Blankverse beherrscht Rosenlöcher virtuos; er überführt sie in eine lyrische Kunst lässiger Unvollkommenheit. So auch in einem um 1998/99 entstandenen Porträt des Dichters als notorisch ungeschickter Mann.
In burlesker Manier, in schelmischen, gelegentlich auch kalauernden, aber immer ironischen Tonarten besingt Rosenlöcher augenzwinkernd kleine und kleinste Dinge. So kann auch ein Klappstuhl Platz haben in einem Gedicht – sogar in einem Sonett, in dem der Dichter mit den Tücken eines Alltagsobjekts zu kämpfen hat. Das Klappstuhl-Sonett steht im Kontext des Wiepersdorfer Tagebuchs, das der Dichter anlässlich seines Aufenthalts 1998 in Schloss Wiepersdorf anfertigte.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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