Friedrich Schillers Gedicht „Hoffnung“

FRIEDRICH SCHILLER

Hoffnung

Es reden und träumen die Menschen viel
Von bessern künftigen Tagen,
Nach einem glücklichen, goldenen Ziel
Sieht man sie rennen und jagen.
Die Welt wird alt und wird wieder jung,
Doch der Mensch hofft immer Verbesserung.

Die Hoffnung führt ihn ins Leben ein,
Sie umflattert den fröhlichen Knaben,
Den Jüngling locket ihr Zauberschein,
Sie wird mit dem Greis nicht begraben;
Denn beschließt er im Grabe den müden Lauf,
Noch am Grabe pflanzt er – die Hoffnung auf.

Es ist kein leerer schmeichelnder Wahn,
Erzeugt im Gehirne des Toren,
Im Herzen kündet es laut sich an:
Zu was Besserm sind wir geboren,
Und was die innere Stimme spricht,
Das täuscht die hoffende Seele nicht.

1797

 

Konnotation

Lange vor dem Philosophen Ernst Bloch (1885–1977) hat bereits Friedrich Schiller (1759–1805) „das Prinzip Hoffnung“ entdeckt. Von der Geburt bis zum Tod treibt die Hoffnung den Menschen an; und selbst angesichts des Grabes gibt er sie nicht auf. Die Suche „nach einem glücklichen goldenen Ziel“ ist in der kollektiven Gesellschafts- wie in der Individualgeschichte eine zentrale Antriebskraft. Die dritte Strophe resümiert in einer Gedankenfigur dieses Hoffnungsvermögen als anthropologische Konstante.
Schillers Gedicht ist im Frühjahr 1797 entstanden, als der Dichter einige Erfolge verzeichnen konnte. Seine großen philosophisch-ästhetischen Werke hatte er gerade abgeschlossen und sein geliebtes Zeitschriftenprojekt Die Horen hatte sich etabliert; in dieser Zeitschrift erschien auch der Erstdruck seines Gedichts. „Zu was Besserm sind wir geboren“: Das ästhetische Temperament Schillers war auch in den folgenden Jahren mit diesem Gedanken verbunden.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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