Les Murray: Übersetzungen aus der Natur

Murray-Übersetzungen aus der Natur

TINTENFISCH

Raumfahrer nach lebendem Planetenfall
auf unserem Immertauchen in blühendem Kristall:
wenn sich um unser Selbst Sippenselbste mehren,
abbremsen, Gummi zu Brei, erschlaffen wir von Speeren,
blühen Anemone, schließen neu und schwebend pulsierend,
den Auftakt zum spielen langsam spürend,
dann umfangen wir den Raum, fegen
überallhin, um eine bedeutende Sammlung
von Lebensstreifen im Nirgendwo zu deponieren
oder wir kommunizieren parallel, von rot zu himmelblau,
wenn seltsame Vorschläge von Gestalt und Zisch florieren
− bis eine zackenrachige Erscheinung
uns auseinanderstrahlt ins Vage, während unsere Farben verblassen
und von unserer Kultur ein Tintenektoplasma hinterlassen.

 

 

 

Dieser Band versammelt Gedichte aus drei Bänden

von Les Murray, die alle den Kreaturen der Welt eine Stimme erteilen, sie singen lassen. Die einfache, und doch geheimnisvolle Gegenwart eines jeden Wesens verleiht den Gedichten eine Kraft, die den Leser zu Meditationen verleitet.

Edition Rugerup, Ankündigung, 2007

 

Mit den Stimmen von Bäumen und Tieren

− Les Murray und Robin Fulton kultivieren das Naturgedicht. −

Selten ist die Vorstellung vom Dichter als Vermittler der Welt so nachdrücklich und intim gestaltet worden wie in Les Murrays Übersetzungen aus der Natur. Diese aus drei englischen Bänden zusammengestellten Gedichte zeigen eine bemerkenswerte Geschlossenheit, wie sie sonst wohl nur originale Sammlungen aufweisen. Als Reaktion auf das Überhandnehmen einer intellektuell exklusiven Gesellschaft wandte sich Murray in den 1980er Jahren verstärkt der spezifisch australischen Flora und Fauna zu, denn er sah in Ursprünglichkeit, Kreatürlichkeit und Individualität die entscheidenden Gegengewichte. Es gelang ihm, in seinem Misstrauen gegenüber der Rationalität die Beschreibungen und Beobachtungen in eine bis zum ekstatischen Bersten gefüllte Sprache zu bringen.
Geschrieben „zur Ehre Gottes“ (wie die meisten von Murrays Werken), zeigen profane Wortwitze, Klangeffekte und eine alltagsnahe Sprache die allen Dingen innewohnende Heiligkeit. Aus diesem Paradox, dieser Spannung beziehen die Gedichte ihre ungeheure Kraft und Intensität. Was Murray von den Dingen, Pflanzen und Tieren berichtet, ist ein Übersetzen, das Hineinversetzen ist. Das geht so weit, dass der Dichter als Sprachmensch manchmal vollkommen hinter dem Gedichtkörper verschwindet; er übersetzt in Worte, was sich sonst wortlos ausdrückt. Adler, Kühe, Tintenfische, Gänse, die Würgefeige und die Sonnenblume, die Luft oder der DNA-Strang äussern sich hier, als hätten sie ein dem Menschen vergleichbares Bewusstsein. In diese Lebensweisen schlüpft der Dichter wie unter verschiedene Masken, erweitert dadurch ein Stück weit unsere gewohnten Perspektiven und stellt zugleich die menschliche Überlegenheit generell in Frage.
Dieser Band ist eine überaus erwünschte Ergänzung zu Murrays bisherigen deutschsprachigen Veröffentlichungen, und die höchst vitalen Übersetzungen von Margitt Lehbert können den Originalen beinahe ebenbürtig an die Seite gestellt werden. Als Begleitung des Buches ist eine unbedingt hörenswerte CD produziert worden, auf der Murray eigens sämtliche Gedichte des vorliegenden Bandes liest – hier wird, etwa bei den imitatorischen Klangkaskaden von „Bat’s Ultrasound“, die Stimme des Dichters buchstäblich zum Naturereignis. Hervorzuheben sind ausserdem die Ausstattung der Reihe mit Fadenheftung, gutem Druck auf gutem Papier und mit einem Gedicht in der jeweiligen Handschrift des Autors auf der Rückseite…

Jürgen Brôcan, Neue Zürcher Zeitung, 22.5.2008

Blechrülpsende Tuchvögel

− Les Murray äußerst lebendiger Gedichtband Übersetzungen aus der Natur. −

Fredy Neptune, 1998 erschienen und das gewichtigste Versepos seit Derek Walcotts Omeros, spielt während des Ersten Weltkriegs und hat einen deutschen Abenteurer zum Helden – für einen australischen Dichter ein etwas abseitiges Thema, mag man denken. Aber auch Australien liegt schließlich fernab. Genau wie der Karibe Derek Walcott lebt Fredy Neptunes Schöpfer Les Murray im Randgebiet der englischen Sprache. Und da fallen Grenzübertretungen möglicherweise leichter. Les Murrays lustvoll-sprachschöpferische Gedichte jedenfalls haben ihn seit Jahren zum heißen Nobelpreiskandidaten gemacht. In Deutschland kümmert sich vor allem seine Übersetzerin Margitt Lehbert um die Verbreitung seines Werks. Vor einer Weile hat sie sogar einen eigenen Verlag gegründet, die Edition Rugerup.
In dieser Edition ist nun schon der zweite Murray-Band erschienen: Übersetzungen aus der Natur. Eine CD, auf der der Dichter die englischen Originale spricht, liegt ebenfalls vor, glücklicherweise, denn anders als durch des Dichters eigene Stimme, werden sich Les Murrays Sprachexplosionen manchmal kaum nachvollziehen lassen. Dabei ist es der Übersetzerin durchaus gelungen, neben der Semantik auch die an- und abschwellenden Vokalfolgen, wie etwa in „Fledermaus-Ultraschall“, überzeugend ins Deutsche zu retten:

ah, Horstzorn, Aerostunde, eh?
Über unserm Urgebiete (unsre Era ewig
eh dein roh Radau) lüften wir die Schwingen,
irren, schären, ruderschief – unsere Sternhausaura,
unser düstres Ü unser Strahl, unsre Pfeile.

Soviel Spaß Les Murray bei der Komposition solch hochvirtuoser Klangereignisse auch haben mag, sein Spiel erschöpft sich nie in sich selbst. Nichts liegt dem Australier ferner als dadaistische Sinnzertrümmerung. Schließlich widmet er all seine Lyrikbände der Ehre Gottes. Und was könnte dessen Schöpfung besser beleuchten als die Übersetzungen aus der Natur? In ihnen gibt Murray zahlreichen Tieren und Pflanzen eine je eigene Stimme, den „Kühen am Schlachttag“ genauso wie der „Würgefeige“, dem „Kuhreiher“ wie dem „Hahnendornbusch“. In allen Gedichten schlüpft der Dichter in das Wesen seiner Wahl. Das lyrische Ich ist dabei nie menschlicher Natur. Und wie erfrischend wirkt es, einmal nicht mit der geschundenen Psyche, den komplizierten Ansichten oder den ach-so-sensiblen Beobachtungen irgendeines menschlichen Artgenossen, sondern mit dem reinen Ausdruckswillen des bloß Lebendigen konfrontiert zu werden!
Dieser Ausdruckswille ist natürlich vom Dichter unterstellt, aber sein Kunstgriff funktioniert: Das sprachliche Beben, das alle Gedichte durchzieht, sorgt für einen Verfremdungseffekt, der das Rollenspiel glaubwürdig macht. Da niemand so spricht, wie diese Gedichte sprechen, ist man gerne bereit anzunehmen, dass es tatsächlich Schlange oder Pottwal sind, die hier das dichterische Wort ergreifen. Les Murrays Mittel dabei sind vielfältig: Seien es Lautmalereien, die gleichwohl nirgends derart wild wuchern wie in „Fledermaus-Ultraschall“, oder seien es überraschende, teilweise an altnordische Kenningar erinnernde Bilder. So spricht der Pottwal etwa davon, wie er „über die Krümmung des Harten“ hinweg schwimmt, den Boden der See. Oder es liegen am Ende von „Honigzyklus“ „verbrauchte Kampfanzüge erstarrt im Gras“ – Bienenpanzer nämlich.
Gerne auch arbeitet Murray mit ungewöhnlichen Substantivierungen, mit originellen Kompositabildungen oder mit syntaktischen Lesefallen. „Wir damals in kühlem Gottesscheiß“, sprechen zum Beispiel die Schweine, „wir fraßen Knackiges. / Wir schnüffelten gut Stinkendes im durchtunnelten Busch“. Auch der Blick auf den Menschen fehlt nicht. Eine Mieze etwa erkennt in uns „riesige blechrülpsende Tuchvögel“. Doch in der Regel interessiert sich das Tier wenig für den homo sapiens. „Das Käfersein allein war mein Ausdruck“ spricht der Käfer, und weiter: „ich bleibe das wahre Wort für mich“.
Voll schillernder Rhythmen und wabernder Klanggewitter ist den „Übersetzungen aus der Natur“ eine archaische Kraft eigen. Durch sie gewinnen in den vielschichtigen Strophen dieses Bandes jene Gestalt, die sonst keine Sprache haben. Und den Leser entheben die Gedichte für einen Moment den eitlen Verwicklungen der Gegenwart. Ja sie führen ihn ein Stück weit hinab auf den Grund des Seins. Sei dieser auch die glänzende Oberfläche erhabener Käfer – oder eben das Summen und Fiepen unsichtbarer Nachtgestalten: „Ein feins Gehör, unser flüchtiger Jahwe.“

Tobias Lehmkuhl, Süddeutsche Zeitung, 4.4.2008

Der Künstler als singender Pottwal: Les Murray

Längst nicht jeder bedeutende fremdsprachige Dichter findet in Deutschland ein solches verlegerisches Obdach – ein paar Übersetzungen in Zeitschriften hier, ein schmales Auswahlbändchen dort, das ist eher die Regel. Auch auf den immer wieder als Nobelpreiskandidat gehandelten Australier Leslie Allan Murray traf sie zu. Nun ist er in der Edition Rugerup, dem südschwedischen Ein-Frau-Unternehmen der Übersetzerin Margitt Lehbert untergekommen. Murray, 1938 auf einer Farm irgendwo im australischen Nirgendwo geboren, hat hierzulande bisher vor allem mit dem Versroman Fredy Neptune für Aufsehen gesorgt. Von seinen fast zwanzig Gedichtbänden, die den „Busch-Barden“ zu einem der größten Poeten seines Kontinents haben werden lassen, waren die längste Zeit lediglich zwei Auswahl-Ausgaben zu haben.
Erst seit dem im Jahr 2006 erschienenen Band Gedichte, groß wie Photos kann man Murrays Verskunst nun auch bei uns im Detail kennen lernen. In einem unbändigen Sprachstrom verquirlen sich da wildes Denken und rurale Sprache mit westlicher Hoch- und Popkultur zu einem grandiosen Stilmix. Sujets aus Landleben und Geschichte, aus den Wirrnissen moderner Kommunikation wie aus dem kulinarischen Bereich nehmen in Murrays Poesie einen sprachlichen Drive an, dass dem Leser ganz wirbelig vor Augen wird. Mehrdeutig sind diese Verse, das ist ein Ergebnis der Spiellaune Murrays, doch ebenso kommt es ihm auf die Einzigartigkeit der Phänomene an. In den nun auf Deutsch vorliegenden Übersetzungen aus der Natur von 1992 begibt er sich auf das Feld des Naturgedichts. Ein lyrischer Linné, bildgewaltig und genau, portraitiert Murray die australische Flora und Fauna, jeder Kreatur schreibt er eine spezifische Sprache zu: Die Natur selbst ergreift das Für jedes Wesen erfindet Murray eine „Übersetzung“, eine andere Art der Weltwahrnehmung:

Jeder meiner langen, geformten Rufe
erschafft die Welt von neuem und zentriert ihre klingende Struktur

heißt es im Gedicht „Der Pottwal“. Passiv erlebt dagegen der Hahnendornbusch seine Welt („Ich werde gelebt, ich werde gestorben… ich werde innerlich besungen / von Drosseln“), der Zuchthengst resümiert seine Existenz eher einsilbig – „Posen, dann Verdauung“, – und anders als die Schweine, die bei Murray als „Wir“ sprechen, artikulieren sich die Kühe als kollektives Ich: „Alle ich stehen auf dem Futter. Der Himmel leuchtet“ Ein Fledermaus-Gedicht schließlich endet im australischen Englisch so:

Ah, eyrie-ire, aero hour, eh?
O’er our ur-area (our era aye
ere your raw row) we air our array,
err, yaw, row wry.

Das ist fast unübersetzbar, und doch ist es Margitt Lehbert gelungen, auch für solche Passagen deutsche Entsprechungen zu finden. Der ganze Lautsinn der Gedichte allerdings erschließt sich erst auf der von Murray selbst eingesprochenen CD: Mal ironisch verspielt, mal tragisch, erhebt sich hier ein Choral aus den Stimmen von Adler und Ameisenigel, von Schildzecke und Würgefeige.
Murray ist ein romantischer Universalpoet, und wenn dann in volksliedähnlichen Strophen auch noch die „Zell-DNA“ zu singen beginnt, meint man von fernher das Eichendorff’sche „Lied in allen Dingen“ zu hören. Auch für Murray, der seine Werke der „Ehre Gottes“ widmet, ist dies zuletzt ein religiöses Lied.

Peer Trilcke, Literaturen, März 2008

 

 

Les Murray spricht beim 15. poesiefestival berlin mit Margitt Lehbert über sein Werk.

 

 

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Les Murray – Lesung eines seiner Gedichte aus dem Buch Killing The Black Dog.

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