Peter von Matt: Zu Paul Celans Gedicht „Todesfuge“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Paul Celans Gedicht „Todesfuge“ aus dem Band Paul Celan: Gesammelte Werke in sieben Bänden. –

 

 

 

 

PAUL CELAN

Todesfuge

Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends
wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts
wir trinken und trinken
wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete
er schreibt es und tritt vor das Haus und es blitzen die Sterne er pfeift seine Rüden herbei
er pfeift seine Juden hervor läßt schaufeln ein Grab in der Erde
er befiehlt uns spielt auf nun zum Tanz

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich morgens und mittags wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete
Dein aschenes Haar Sulamith wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng

Er ruft stecht tiefer ins Erdenreich ihr einen ihr andern singet und spielt
er greift nach dem Eisen im Gurt er schwingts seine Augen sind blau
stecht tiefer die Spaten ihr einen ihr andern spielt weiter zum Tanz auf

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags und morgens wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith er spielt mit den Schlangen

Er ruft spielt süßer den Tod der Tod ist ein Meister aus Deutschland
er ruft streicht dunkler die Geigen dann steigt ihr als Rauch in die Luft
dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags der Tod ist ein Meister aus Deutschland
wir trinken dich abends und morgens wir trinken und trinken
der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau
er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
er hetzt seine Rüden auf uns er schenkt uns ein Grab in der Luft
er spielt mit den Schlangen und träumet der Tod ist ein Meister aus Deutschland
dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith

 

 

Wie ist das Gold so gar verdunkelt

Ein einziger Reim! Er steckt im Gedicht wie die Kugel im Erschossenen. Er ist die Kugel, von der er redet, ist so banal, wie das winzige Blei-Ding, aber auch so präzis gefertigt. Er tut den Dienst perfekt. Das reimt sich, wie es tötet, tötet zum tausendsten Mal, wie es sich schon tausendfach gereimt hat: trivial, glatt, genau. Das Reimwort redet zugleich vom Reimakt, den es vollzieht. „Sein Auge ist blau / er trifft dich genau.“ Die poetische Routine korrespondiert grausig der Routine des Ermordens.
Dieser einzige Reim in dem langen Gedicht! Er gehört zu den Rätseln des Textes, neben der „schwarzen Milch“ und dem „Meister aus Deutschland“. Was ihn zu erklären vermöchte, müßte auch alles andere deutlicher machen. Ob er jenen „deutschen Reim“ darstellt, von dem in einem anderen Gedicht aus den gleichen Jahren die Rede ist? Denkbar wäre es, denn das „blaue Auge“ steht für das Deutsche wie das „aschene Haar“ für die Juden. Dann wird hier also gleichzeitig ein Urteil gesprochen über das deutsche Gedicht? Dann fällt hier ein schreckliches Wort über alles, was sich vernehmen läßt als deutsches Wort?
Gerade jene anderen Verse, in denen vom „deutschen Reim“ die Rede ist („Nähe der Gräber“), zeigen, daß es so einfach nicht geht. Es sind Verse an die ermordete Mutter. Sie reden still und klagend mit der am fernen Bug begrabenen Frau und schließen:

Und duldest du, Mutter, wie einst, ach, daheim,
den leisen, den deutschen, den schmerzlichen Reim?

Celans Mutter hat die deutschen Dichter heftig geliebt, hat diese Liebe an den Sohn weitergegeben, und die beiden haben schon früh spielerisch gewetteifert im Zitieren schöner Stellen. Erträgst du das jetzt noch, fragen die Verse, jetzt, als Erschossene, eine von so vielen? Aber in der Art des Fragens liegt bereits die Antwort: der leise, schmerzliche, deutsche Reim, der sich hier selbst wieder reimt mit einem traurigen „daheim“, ist als Klang und Verlautung gerade nicht Teil des Schrecklichen und Bösen, sondern der Ort letzter Zuflucht. In einer geisterhaften Weise wird er zum Medium der Verbindung mit der Toten, und fast könnte man die Frage als Bitte lesen: Dulde ihn doch bei deinem Sohn, Mutter!
Von da ergibt sich ein Zugang zum fundamentalen Paradox des Gedichts: daß es eine verzehrende, eine wahnsinnige Sprachmagie entfaltet, um über das äußerste Verbrechen zu reden. Die betörendsten Klänge deutscher Poesie gleiten hier ineinander, das irre Singen der Lorelei, die süchtige Morbidität von Rilkes Cornet, die zwielichtige Grandeur Georges, aber alles anverwandelt einem endlosen Lied, als spielte ein verrückter Geiger immerzu voran, immerzu die gleichen paar Tonfolgen nacheinander und durcheinander, ein Geiger wie vom frühen Chagall: Ahasver als irrender Musikant.
Daß das Gedicht zuerst „Todestango“ hieß, versteht sich so ohne weiteres. Es hätte auch „Bolero“ heißen können. So genau sich die Strukturen einer Fuge mögen nachweisen lassen, der Bolero-Effekt ist deutlicher – wie ja auch auf den alten Totentänzen, an die das Wort „Todestango“ anklingt, der Tod offensichtlich keine Choräle spielt, sondern aufreizend schmierende Geigenstücke.
Das Wort „Meister“ verweist auf alles, was je große Kunst war in Deutschland und süß und traumgeboren. Und im gleichen Zug verweist es auf den Genozid, das magistrale Morden. Beides fährt ineinander, untrennbar: „spielt süßer den Tod… streicht dunkler die Geigen“. Dennoch fällt das Gedicht kein Urteil über jene Schönheit. Es tut, was schwerer ist, es hält die Paradoxie aus – man kann das Wahnsinn nennen oder Poesie. Im schroffen Paradox der ersten zwei Worte entdeckt sich die Beschaffenheit des Ganzen. Die Mutter und die deutsche Sprache und der „deutsche Reim“ sind eins – Nahrung der Frühe. Das ist nun ganz tot und doch ganz lebendig: tot wie die erschossene Frau, wie der schreckliche einzige Reim, lebendig wie die Liebe des Sohnes, wie sein versiegeltes Dichten – schwarze Milch.

Peter von Matt, aus Peter von Matt: Die verdächtige Pracht, Erstdruck Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.2.1990

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