Die Nähe vom Abstand

Mashup von Juliane Duda zu der Kategorie „adhoc“

adhoc

Auch auf planetlyrik können wir uns der schockartigen weltumspannenden Ausnahmesituation nicht entziehen, allerdings haben wir unser Augenmerk bisher nicht konkret auf das fokussiert, was da nebendraußen (typisch Handke) los ist. Wir haben keine Home-Office-Lesungen veranstaltet, keine Warnhinweise veröffentlicht, nichts abgesagt, nichts verschoben, keine Kurzarbeit beantragt, keinen Sicherheitsabstand eingeführt, niemandem die Hand gereicht, nirgends so getan als wüßten wir Bescheid. Eigentlich waren wir wie immer, nur war es nicht wie immer. Aus dieser Eigenquarantäne, akut gefährdete Kunst- und Weltenretter kommen uns mit Ignoranzblase, wurden wir 1x aus der Villa Massimo mit dem COROMA-Lied von Peter Wawerzinek und T-Rasch begroovt

und zweimal lyrisch aus der Schweiz befreit: (Und zum Konjunkturpaket gehören nun auch die Heikos von Ingolf Brökel und das Epitaph von Kristin Schulz, die Coronaden von Richard Pietraß sowie das Sommerinterview von Nora Gomringer) Zum einen mit dem Gedicht „Waiting for“ von Ilma Rakusa, für das wir eine kleine GIF-Animation entworfen haben und das jetzt jeden Besucher im loop empfängt (Zusätzlich ist ihr Zyklus „Corona mit Hölderlin“ nun auch hier lesbar) und zum anderen von Felix Philipp Ingolds Auszugs- = Aneignungstext „Albert Camus. (Extrakte aus dem ,Belagerungszustand‘)“.
Mit der zweiten Welle schraffiert sich das Verschwinden neu in den Ravenna Records von Thomas Köck und Andreas Spechtl.
Zum Glück gibt es diese Türöffner ohne Ausgang, die unser (aller) Tun sprachlich hinterfragen. Wir können uns mit ihnen nicht desinfizieren, aber sie halten unseren Geist gesund. Zumindest davon gibt es eine ansteckende Überzeugung. Aber jetzt das kontaktierende „Dramolett“, bevor wir wieder in den Hintergrundmodus umschalten.

 

Albert Camus

(Extrakte aus dem «Belagerungszustand»)

 

Ich bin die Pest! Und du?

Ich habe mich mit dem Tod ins Einverständnis gesetzt, das ist meine Stärke.

Die Feigheit, das ist – wie sie alle leben, klein, in Sorge, stets auf halber Höhe.

Ich muss der Meister aller sein, oder ich bin’s für keinen.

Man kann nicht glücklich sein, ohne andere ins Unrecht zu versetzen.

So viele Schreie, die schönste aller Sprachen …

Alles geht weiter, um nicht weiterzugehn.

Weder Angst noch Hass – unser Sieg!

Es geht nicht mehr darum, einzuschränken, sondern darum, sich einzuschränken.

Die Revolutionen brauchen keine Aufständischen mehr.

Aber ich weiss nicht, wer Recht hat? – Der, der sich nicht fürchtet!

Aber ich bin zu stolz, um dich zu lieben, ohne mich wertzuschätzen.

Jeder ist ein Verräter, weil jeder Angst hat.

Wenn das Verbrechen zum Gesetz wird, hört es auf, ein Verbrechen zu sein.

Eine gute Pest taugt mehr als zwei Freiheiten.

Der Stärkste, schau, bin ich, der Unschuldige.

Schreit! – der Wind wird antworten.

Entschliesst euch lieber zu einem Leben auf Knien, als aufrecht zu sterben.

Die Idealvorstellung, dass der zur Hinrichtung Verurteilte an seiner Hinrichtung mitwirke.

Schuldig, sich naturgemäss regieren zu lassen.

Ich, ich regiere, das ist eine Tatsache, also mein Recht.

Sich anstellen, um gut zu sterben.

Alle verdächtig – guter Beginn.

Wir sind allein – die Pest und wir!

Die Seuche geht schneller als wir.

Striktes Verbot, denen zu helfen, die von der Krankheit geschlagen sind.

Die Epidemie verbreitet sich mit einer Geschwindigkeit, die jede Hilfe hinter sich lässt.

Nichts geschieht, nichts ist geschehen.

Und wenn dereinst alles unterdrückt ist – dann haben wir das Paradies.

 

Albert Camus, «L’Etat de siège», 1948, UA mit Pierre Bertin als Die Pest und Madeleine Renaud als Die Sekretärin (Théâtre Marigny, Paris 27.X.1948); deutsch von Felix Philipp Ingold1

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