Felix Philipp Ingold: Aufs Wort (genau) – “Linguistic …

Aufs Wort (genau) – Teil 10

 

Teil 9 siehe hier

“Linguistic stuff matters.” Das ist das recht unbedarfte, dabei höchst bemerkenswerte Fazit einer breit angelegten Studie, die Kleinbaum/Kovács 2019 vorgelegt haben aufgrund statistischer Analysen des Einzelwortgebrauchs in US-amerikanischen sozialen Medien. Daraus geht hervor, dass User, die sich persönlich nicht kennen, anhand einzelner Wörter, die von ihren Partnern besonders häufig verwendet werden, Sympathien, wenn nicht gar Freundschaftsgefühle entwickeln, womöglich aber auch Gefühle des Unmuts, der Abneigung; dass es demnach bei alltäglicher Kommunikation via SMS, Chat, Twitter usf. keineswegs bloss um Inhalte (Sätze, Aussagen) geht, sondern ebenso um Einzelbegriffe, die mit auffallend hoher Frequenz wiederkehren und die als solche den jeweiligen Absender individuell zu charakterisieren vermögen – Wörter wie «ich», «mich», «mein»; «nicht», «nie», «kein» oder auch (offenbar besonders markant) «mehr», «grösser», «besser», «(am) besten».
Konzept, Durchführung und Ergebnis dieser und ähnlich angelegter Studien mögen diskutabel sein, sie machen jedenfalls deutlich, dass dem Einzelwort selbst im automatisierten Alltagsgebrauch weit grössere Relevanz zukommt, als man gemeinhin annimmt: Gegenüber (und innerhalb) rhetorischer, stilistischer, syntaktischer Zusammenhänge behauptet es sich als eigenständige und selbstwertige Grösse. Auf «die Kleinteile der Sprache» (the small parts of language) komme es an – aus dieser Grundannahme hat einst Roman Jakobson seine wegweisenden phonologischen und poetologischen Recherchen zu einer ungemein produktiven allgemeinen Sprachlehre entwickelt, welche die althergebrachten Spekulationen über «die Magie des Wortes» streng wissenschaftlich auf den Punkt brachte, mit dem Fazit, sie beruhe «hauptsächlich auf der Wechselbeziehung zwischen Laut und Idee».

… Fortsetzung hier

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