Felix Philipp Ingolds Skorpioversa – Dantesk (Teil 6)

Dantesk

Wer liest heute noch die Göttliche Komödie – und wie?

Teil 5 siehe hier

Was sich als Erklärung reichlich kompliziert ausnimmt, ist in Wirklichkeit (d.h. beim Lesen) sehr einfach, fast schon trivial, und es gilt letztlich, weit über die Göttliche Komödie hinaus, für jedes Gedicht. Denn jedes Gedicht ist das Ergebnis einer auktorialen Vorentscheidung: Entweder liegt die Priorität bei der Aussage (wie in der politischen Poesie) oder bei der Formgestaltung (wie eben in der formalistischen Dichtung), wobei jeweils die Form hinter die Aussage beziehungsweise die Aussage hinter die Form zurücktritt; eine dritte Möglichkeit besteht darin, Form und Aussage gleichermassen zu berücksichtigen, sie also in harmonische Wechselwirkung zu versetzen, wie es, beispielhaft, Dante Alighieri mit der Göttlichen Komödie und nach ihm Shakespeare mit seinen Sonetten, Goethe mit dem Versdrama Faust oder Puschkin mit dem Versroman Jewgenij Onegin gelingt. Und neuerdings? Von Ossip Mandelstam und T. S. Eliot bis hin zu Joseph Brodsky oder – ja, nein, viele sind es nicht.

 

© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik

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