Felix Philipp Ingolds Skorpioversa – Personalstil und Epochenstil (Teil 3)

Personalstil und Epochenstil

Teil 2 siehe hier

Stillos, in meinem Verständnis, kann auch ein noch so brillant praktizierter, weithin gefälliger literarischer Trend- oder Modestil sein, so wie umgekehrt „schlechter“, d.h. ungewohnter, befremdlicher, als defizitär geltender Stil sich durchaus als stark erweisen und Innovationsimpulse setzen kann, die vielleicht erst später aufgenommen und genutzt werden – um noch später erneut zu einem kollektiven Zeitstil zu verflachen. Exemplarisch dafür sind Autoren wie Kafka, Joyce, Beckett, neuerdings auch Mayröcker oder Houellebecq – sie alle sind ursprünglich, jeder auf seine Art, mit einem unverwechselbaren Personalstil angetreten, der in der Folge zu literarischem Allgemeingut mutierte.
Doch es gibt ausserdem die Künstler, die – als Renegaten – von sich aus ihre innovativen, wenn nicht «revolutionären» Anfänge verwerfen und sich bedenkenlos der Tradition anschliessen, die sie vor Zeiten überwunden hatten. Strawinsky als Beispiel, oder Malewitsch und auch – im Literaturbereich – Hugo Ball, Gottfried Benn, Boris Pasternak, die mit ihrem Spätwerk ihr eigenes Frühwerk desavouiert haben.
Festzustellen ist also, dass aus sperrigen, provokanten Privatstilen in aller Regel längerfristige und mehrheitstaugliche Epochenstile (oder kürzer: Trends) resultieren, die so lange fortbestehen und dominant bleiben, bis sie wiederum durch individuelle stilistische Neuerungen in Frage gestellt und abgelöst werden. Ist ein bestimmter Zeitstil erst einmal etabliert, kann er zur Evolution der literarischen Kultur nichts mehr beitragen – aufhalten kann er sie sehr wohl; doch ein nächster Stilbruch ist unausweichlich.

 

© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik

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