Felix Philipp Ingolds Skorpioversa – Schreiben in Haft (Teil 1)

Schreiben in Haft

 

Schreiben in Haft wird naturgemäss durch zwei elementare Rahmenbedingungen bestimmt: Sehr wenig Raum, sehr viel Zeit. Das allerdings ist zu differenzieren je nach Art des Freiheitsentzugs – Hausarrest, Gefängnis, Arbeits-, Umerziehungs- oder Vernichtungslager, innere Verbannung, psychiatrische Internierung.
Gemeinsam ist all diesen Aufenthaltsorten der Zwang in Form von einschränkenden Regelwerken, physischer Ausbeutung, materieller Enteignung, sozialer und informationeller Abschottung, der Zwang entweder zu individueller Isolation oder zu kollektiver Unterbringung – ob so oder anders, für den Häftling ist das Gefängnis, wie einst Josef Čapek bezeugte, ein «Vierwändegrab». Dazu kommt in manchen Fällen (etwa in Kriegsgefängnissen, im Gulag, im KZ) der permanente Mangel an Papier und Schreibzeug, eine repressive Einschränkung, die nur zu überwinden ist (und auch immer wieder überwunden wurde) durch das Auswendiglernen von eigenen, noch ungeschriebenen Texten, Gedichten vorab, aber auch von Aufsätzen, Erzählungen, Dramen oder Traktaten, die oft erst viel später verschriftlicht wurden – eine Leistung, die in Freiheit niemand erbringen würde, weil niemand sie erbringen müsste.

Fortsetzung hier

© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik

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