Uneins

Das Tier im Menschen ist Monstrum und Faszinosum in einem, dieses von jenem nicht zu trennen, weshalb denn auch der Mensch als Individuum niemals ganz sein kann und gut zu machen ist. «Es wird besser werden», glaubte einst Elias Canetti vermuten zu dürfen, doch versah er die Vermutung mit einem doppelten Fragezeichen: «Wann? Wenn die Hunde regieren?» Das Bestialische und das Göttliche am Menschen befinden sich in permanentem Konflikt, der bedingt ist durch die «hündische» Position des Menschen zwischen Biosphäre und Semiosphäre, durch die Unmöglichkeit mithin, sich selbst zu genügen und in sich selbst zu ruhen, durch die daraus sich ergebende Notwendigkeit auch, die eigne Existenz dem Logos nachzuordnen und zu unterwerfen («cogito ergo sum»), das heisst auf eine Zeichenwelt verwiesen zu sein, die nur durch permanentes Übersetzen und Interpretieren bewältigt, nicht aber authentisch gelebt werden kann. Noch einmal Canetti: «Es sieht oft so aus, als sei das ganze religiöse Wesen, das wir uns ausgemalt haben, mit Teufeln, Zwergen, Geistern, Engeln und Göttern dem realen Dasein der Hunde entnommen. Sei es, dass wir unsere mannigfaltigen Gläubigkeiten an ihnen dargestellt haben, sei es, dass wir erst Menschen sind, seit wir Hunde halten, – auf jeden Fall können wir an ihnen ablesen, was wir selber eigentlich treiben, und es ist anzunehmen, dass die meisten Herren für dieses dumpfe Wissen mehr Dankbarkeit haben als für die Götter, die sie im Munde führen.»

 

aus: Felix Philipp Ingold: Gegengabe
zusammengetragen aus kritischen, poetischen und privaten Feldern

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