Günter Herburger: Im Gebirge

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Günter Herburger: Im Gebirge

Herburger-Im Gebirge

DIE VERLIERER

Heliogabal verzehrte Nachtigallenzungen,
weil er den Wohllaut des Gesangs
dieser Vögel zur Speise haben wollte.
Er starb an vereiterten Zähnen.

Die Makrele stammt aus türkischen Meeren,
weshalb in Italien jeder fette Fisch
,pesce turchino‘ heißt und Leichen
als Kopfstütze im Sarg beigegeben wird.

Ein Maquereau ist ein Zuhälter,
eine Freßmaschine auf französisch,
deren Überlebenschance besser ist
als die des Guten Heinrichs,
ein Wildnisspinat, heimgesucht von Pharmazeuten,
die nach alten Genen forschen, um sie
wiederzuerwecken oder einzufrieren.

Isabella von Kastilien ertränkte das Kind
einer Rivalin, schloß sich ein,
aß nichts mehr, blieb im Alkoven liegen
und starb nach vierzehn Wochen.
Seither werden gelbliche, schwere Seiden,
erstarrt aussehend, isabellenfarben genannt.

Im Kaukasus soll oben auf Gipfeln,
dort unter Steinen oder in einem Stall
eines vormaligen Kolchos, immer noch
das Goldene Vlies verborgen liegen.
Wer es berührt, fängt lichterloh
zu brennen an, doch bleibt am Leben.

Zu erzählen wäre noch,
daß Roman Opalka, ein Pole,
seit Jahrzehnten hintereinander
und Reihe um Reihe untereinander
Zahlen auf Tafelbilder malt, die er,
wie behauptet wird, nicht verkaufe.
Begonnen hat er mit der Eins,
zur Zeit sei er etwa bei drei Millionen
und ein paar Hunderten angekommen.
Ihm steht bei eine Kartoffelelfe,
denn nur mit Hilfe der geschwinden Kindertechnik
des Kartoffeldrucks vermochte der Pole
seine Kunst zu beginnen.

Er werde, sagt Roman Opalka,
mit der Arbeit erst aufhören,
wenn er tot umfalle, was, sagt er auch,
jeden Augenblick geschehen könne.

Neulich traf ich einen Wanderer,
Hermann Lenz, ein Dichter, der unerträglich
langsam geht sowie schreibt und,
wie viele schwärmen, nichts erfinde
oder fast nichts, was eine Offenbarung sei.
Durchaus möglich, denn nie las ich
ein Buch von ihm, obwohl wir einst
inmitten eines Sommers,
es war auf einer Wiese im Englischen Friedhof,
gemeinsam mit Weinlaub bekränzt wurden
für irgendwelche Verdienste.
Gemessen schritten wir zu einem Tisch
und aßen Weißwürste mit süßem Senf.
Inzwischen ist er tot.

 

 

 

 

LIED VOM BUNTEN SCHWEIN
(Günter Herburger gedenkend)

Dein Lied es könnte fallen aus der Nacht
in luftiges Papier gewickelt sacht

es könnte steigen aus dem Zimmerbrand
wo Rosemie das Flammenende fand

wo Pelze sprühten Drogen Klopapier
der Wiedehopf im kahlen Flur die Gier

mit der du schriebst und liefst von dort nach hier
in Traum und Wahn geborgen wie ein Tier

im blauen Müllsack röchelnd vor der Tür
der Totemvogel hockt gerupft auf dir

im Koma liegend wie dein Berghirt Jean
das bunte Schwein schleckt dir die Knie an

Michael Buselmeier

 

 

Zum 80. Geburtstag des Autors:

Dietmar Dath: Schritt für Schrift
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6.4.2012

Detlef Kuhlmann: Schriftsteller und Langstreckenläufer…
germanroadraces.de, 8.4.2012

Konstantin Ulmer: Der ewige Vagabund
der Freitag, 6.4.2012

Michael Buselmeier: Mein Brieffreund und ich
Der Tagesspiegel, 5.4.2012

Nachrufe auf Günter Herburger: PNN ✝︎ nd ✝︎ Zeit ✝︎ NZZ ✝︎ SD ✝︎ FAZ ✝︎
junge Welt ✝︎ schwäbische ✝︎ Sinn & Form ✝︎

 

 

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Bild von Juliane Duda mit den Texten von Fritz Schönborn aus seiner Deutschen Dichterflora. Hier „Hinundherburger“.

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