Ingolf Brökel: Anna und Hannah

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Ingolf Brökel: Anna und Hannah

Brökel/Teutsch-Anna und Hannah

MEIN PENIS

Beim Pinkeln hat er
Die übliche Länge
Eines Gedichts

Steif geworden
Erscheint er mir fast
Wie ein Poem.

 

 

 

Lust

Ingolf Brökel verfolgt in Anna und Hannah einen etwas anderen Ansatz. Zwar stehen auch bei ihm das Erotische und die Liebe im Fokus, doch erzählt er keine Geschichten oder Epen, weil er weiß, dass bekanntlich ein Text perfekt ist, wenn man nichts mehr weglassen kann. Die Edition trägt die untertitelnde Bezeichnung „Erotisches Schulheft“ nicht, um einen Lernstoff auszuweisen, vielmehr suggeriert die dünne Broschurform die Möglichkeit, Momente und Ideen festzuhalten, die es verdienen. Es sind kurze Gedichte, Prosaminiaturen und Aphoristisches, die Grenzziehung zwischen den Genres ist relativ, darauf kommt es dem Dichter weniger an.
Der Autor beginnt mit den Worten:

Das Gedicht
kann man nicht erzwingen,
wie die Liebe.

Es geht ihm um die Liebe und das Sprechen darüber. Theatralischer Klangwitz interessiert ihn weniger. Er begreift die Schönheit der Frauen wie auch die der Gleichungen der Elektrodynamik, ebenso hält er es mit der Eleganz der Sprache und ihren Geheimnissen, und daraus bezieht er auch seine lyrische Programmatik:

wechselwirkung

du fragst mich
ob ich
mit der sprache
sinnvoll
von der liebe
sprechen könnte

es wäre sonderbar
wenn ich es
nicht könnte
es wäre paradox
wenn ich es
könnte.

Lakonisches und genaue Aussagen bilden bei Brökel eine Einheit. Und er weiß, egal ob er es von Joubert gelernt oder es sich selbst erstritten hat: Alles Genaue ist kurz. So macht er durch Tiefe wett, dass der Umfang aristokratisch knapp ist und die Darstellung elitär.

Im Arbeitszimmer: die schönen Rücken
der Dichter, besonders die schmalen.

Und es gelingt ihm der Spagat:

Gedichte müssen so anschaulich sein wie Frauen.

Zu der für Ingolf Brökel typischen Dreieinigkeit von Originalität, Intellektualität und Poesie gesellt sich in diesem Werk der Spaß an Erotik:

Mag das hohe Gras
Den niedern Beweggründen
Nur ruhig folgen.

Doch den Blick des Physikers verliert er dabei nicht:

zwischen deinen brüsten
und meiner hand
spüre ich luftwiderstand.

Und ein paar unerwartete Einsichten hat er immer, auch solche, die man mehr als einmal lesen und genießen kann:  „Liebe mit Unwissenden statt mit Experten!“ oder „Der Osten tickt nicht nur anders!“.
Zu den Titelpersonen, Anna und Hannah, gibt Brökel Hinweise in Lesungen; hier führte das zu weit, da genügt Generelles:

… diese möglichen Frauen und diese unmöglichen
Frauen …

Und natürlich versteht er. Jeder Mensch ist immer auch Ergebnis der Erlebnisse, die ihn mit Partnerinnen oder Partnern verbinden. Da sind sie nämlich: die Erinnerung an die Lust und die Lust an der Erinnerung. Und um auf den Punkt Gebrachtes zu erkennen, braucht er keinen Voyeur.
Brökels Heft ist eine der schillerndsten Publikationen des Jahres in diesem Genre. Etwas komprimiert auf das Wesentlichste wäre sie vielleicht noch runder und überzeugender ausgefallen. Die graphische Gestaltung (Buchschmuck, Vexierbilder und Vignetten) stammt von Hannelore Teutsch; unverwechselbar, graphisch originell und romantisch-spröde entstand auf dieser Basis der bibliophile Charakter der Edition.
Über Liebe und Erotik schreiben kann man auf verschiedene Arten. Viele davon werden auf Interesse und Empathie stoßen. Distanz dagegen muss nicht ein Urteil über die Texte darstellen. Denn dass es unterschiedliche Auffassungen und Vorlieben gibt, das wird immer ein Charakteristikum jeglicher Kunst wie auch der Liebe sein. Und diese Verse machen Lust.

Roland Müller, SIGNUM, Winter 2024

 

Fakten und Vermutungen zum Autor

 

Ingolf Brökel (Text) & Erhard Ertel (Video/Musik)
Trailer zu Häschen in der Grube – Ein Stück Abend aufgeführt am 23. Oktober 2004.

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