Jan Skudlarek: elektrosmog

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Jan Skudlarek: elektrosmog

Skudlarek/Kornappel-elektrosmog

WIR VERZÖGERN DIE RAKETENSTARTS

zahnausfallträume, der himmel voller stalaktiten.

sprache  per  tröpfcheninfektion,   wir  schäumen

kurzentschlossen,   die   kabel   schmoren   durch

hinter den synapsen.  dann  wird’s  zappenduster,

der  raum  entströmt.  ausfallerscheinungen,  ein

gewitter dekliniert sich überm haus

 

 

 

Jan Skudlareks Gedichte sind Dialogarbeiten.

In engem Austausch miteinander stehend bewegen sich die Protagonisten seiner Texte rauschartig durch eine technisierte, oft schemenhafte Umwelt. Bis an die Grenzen der Körper, die Grenzen der Sprache. Die Akteure – oft durch ein schlichtes „wir“ zusammengefasst – sind Subjekte einer nicht selten surrealen Erfahrungssuche. Doch ihr Wir ist nach außen offen, fordert den Leser auf, teilzunehmen.
Mit elektrosmog legt Jan Skudlarek seinen ersten Lyrikband vor.

Luxbooks, Klappentext, 2013

 

Landschaft leuchtet digital

– Sprache im elektrischen Zeitalter: Jan Skudlarek verschaltet Gegensätze. –

Fallen uns im Elektrosmog die Zähne aus, die Haare? Verlieren wir im Zeitalter der digitalen Technik und der drahtlosen Kommunikation unsere Sinne, wie es der Forscher Rolf Hensingmöller 1911 prophezeite? Zwischen Ironie und Grauen bewegen sich die Verse des 1986 geborenen Jan Skudlarek. Er stellt seinem Debütband zwei Zitate voran: die Horrorvision jenes Propheten aus Göttingen und die Definition der amerikanischen Dichterin Adrienne Rich:

poetry is an exchange of electrical currents through language

Die weit auseinanderliegenden, scheinbar unvereinbaren Energien von Elektrizität und Poesie führt Jan Skudlarek in 64 Gedichten per Blocksatz zusammen. Scharfsinnig und ebenso locker erzählend wie bildhaft konzentriert geht er seinem ungewöhnlichen Denkansatz nach. Er bringt das sich verändernde Lebensgefühl beim alltäglichen Gebrauch von elektronischen Geräten und spannungsgeladenen Feldern in eine pointierte Sprache. Selten zurrt er die Pointen allzu schnell zusammen, dann bewegt sich der Text dicht an der Grenze zum Kalauer. Etliches kommt als Naturgedicht in zeitgemäßer Prägung daher, als Anti-Idylle mit Sprachreflexion:

links liegt die weide, eine aus der Mode gekommene wendung

Ein Waldboden wird als Wortfeld betrachtet, ein Trampelpfad als ein verschachtelter Satz.
Der Titel Elektrosmog erinnert an die Tradition der Kahlschlag-, Öko- und Klima-Dichter, die in den Siebziger- und Achtzigerjahren die Zerstörung der Natur im Zuge des technischen Fortschritts thematisierten. Doch anders als jene, die demonstrativ Engagement bekundeten, indem sie auf drohende Katastrophen hinwiesen, vermeidet Skudlarek jegliche Klage oder gar Anklage. Er kombiniert Wirklichkeitsausschnitte zu spannungsgeladenen Szenen, bei denen Gefahren stets nur im Subtext mitlaufen. Elektrosmog ist unsichtbar, womöglich ein Halluzinogen? Nein, Skudlareks „Ansichtskarten“ weisen auf potenzierte globale Bedrohungen:

einen gesamten landstrich aus
löschen per knopf. per druck

Der kriegerische Zeitgeist ist computergesteuert. Statt der hölderlinschen im Winde klirrenden Fahnen wehen bei Skudlarek Systemadministratoren.
Die gewitzte Leichtigkeit und Dynamik der skudlarekschen Verse kommt aus dem Zusammenprall von Worten und Sprachbildern aus Bereichen, die sich sonst kaum berühren: Gestirne und Jahreszeiten, Großstadtatmosphäre, Elektrotechnik, Sprache, Politik, Werbung und Bürokratie. Skudlarek setzt sie so gegen- und ineinander, dass die Bedeutungen einander überlagern. Im Spannungsfeld von Kommandozentralen, Überhangmandaten und Rückrufaktionen einerseits und digital beleuchteten, sirrenden Landschaften andererseits betreibt er eine hochgradige Verdichtung mit verblüffenden Effekten. Dabei gelingt ihm Sprachmagie vom Feinsten.
Mitten in der Landschaft stehen seltsame Erfindungen wie „gehirnwaschanlagen“. Der weiße Nebel steigt nicht mehr wunderbar aus den Wiesen, sondern geht dem Protagonisten per „lynchjustiz“ an die Gurgel. In künstlichen Landschaften sind auch die Tiere künstlich. Vögel „wechseln ihre tonbänder“, „plärren mechanisch“ oder werden an unsichtbaren Schnüren am Auge des Betrachters vorbeigezogen. An anderer Stelle ergeht es Kois ebenso – da erschöpft sich leider der mechanische Budenzauber in der Wiederholung. Es bleibt der Eindruck einer marionettenhaften Welt, in der Lebewesen zu Dingen gemacht werden.
Der in Nordrhein-Westfalen und Spanien aufgewachsene, heute in Berlin lebende Autor kommt ganz vom Klang her, vom Rhythmus des mündlichen Vortrags und der Performance. Er ist ein Akustiker, der den digitalen Zeitgeist mit seinen surrenden Laptop-Lüftern und Störgeräuschen einfängt, aber nicht minder ein Morphologe, der bekennt:

wir durchsuchen den
wortschatz auf der suche nach nuggets

Vor allem aber ist Jan Skudlarek der Phonologe unter den jungen Dichtern. „klangskulpturen sind wir, nicht wahr“ heißt eines der Gedichte.
Hier spricht er den Leser ganz direkt an, baut auf Zustimmung und Widerspruch gleichermaßen. Denn zum Klang gesellen sich der Sinn der Rede, das Sprachbild, die Metapher, der Rhythmus des Erzählens und die vielfachen Bezüge. Er hat ein offenes Ohr für andere Stimmen und Traditionen, mit denen seine Verse korrespondieren: Ovid, Sappho, aber auch Durs Grünbein, etwa in „hautzone, morgens“. Was das „Wir“ im Elektrosmog wahrnimmt, ist eine mehr denn je mit allen Sinnen erfahrene Welt.

Dorothea von Törne, Die Welt, 12.4.2014

Ornithologen fallen aus den Bäumen

– Klangvolle Bedrohung: Jan Skudlareks erstaunliches Lyrikdebüt elektrosmog. –

Aus Sicht der Körperhygiene – und wer will schon von sich behaupten, nichts mit der am Hut zu haben? – oszilliert unser Leben zwischen der Notwendigkeit, mit der Außenwelt in Kontakt treten zu müssen, und der Ansteckungsgefahr, die von dieser Berührung ausgeht. Die reale Bedrohung mag inzwischen minimal sein, die gefühlte aber belastet im Zeitalter der Doppelduscher, Dauerdesinfizierer und Keimhysteriker mehr als je zuvor.
Mit Lyrik hat das zu tun, weil Jan Skudlarek in seinem erstaunlichen Debüt ein feines Gespür für den Widerstreit zwischen Berührungsbedürfnis und Ansteckungsangst beweist. Skudlarek, 1986 in Hamm geboren, erkennt in dem Konflikt das Merkmal unserer Gegenwart und zugleich ein faszinierendes Spielfeld, um den unterschiedlichsten Ansteckungsformen und -facetten poetisch nachzuspüren. Der Titel des Bandes, elektrosmog, ruft gleich eine klangvolle Bedrohung unserer Zeit auf. Wer kann schon sagen, wie unsere Atmosphäre sich auf uns auswirkt, da sie von der Abstrahlung unserer Elektrogeräte zu bersten droht? Es gibt aber noch ganz andere Berührungs- und Infektionsängste. Das gerade erst überstandene Fest der Liebe mit seinem Verwandtschafts- und Freundesringelreihen kommentiert Skudlarek lakonisch:

weihnachten. zeit sich die hände zu desinfizieren.

Scharfsinnig die heutigen Ängste, Übertreibungen, Lächerlichkeiten in den Blick zu nehmen ist das eine, was dieses bemerkenswerte Debüt ausmacht. Das andere ist die spielerische, mitunter virtuose, stets gewitzte Verwandlung der Beobachtungen in Poesie. Skudlarek vertraut dafür vor allem auf die Folge von drei Prinzipien. Zunächst setzt er das gemischte Doppel aus Berührung und Ansteckung in ein sprachliches Phänomen um. Ein Großteil der Texte setzt mit einer prominenten Metapher ein: „die wirklichkeit defiliert“, „am waldrand gerinnen Soldaten“, „auf den hochhäusern überwintern heliports“ oder es herrscht „ebbe, die haut zieht sich zurück“. In der Metapher überlagern sich zwei Bildfelder, die sich normalerweise fremd sind und nichts miteinander zu tun haben. Jetzt aber stecken sie sich gegenseitig an, infiltrieren einander. Auf diese sprachliche Ansteckungskraft kommt es Skudlarek an.
Im Anschluss weitet er das einzelne Bild zu einer kurzen Sequenz aus. Es entstehen schräge, kuriose, lustig, tänzerisch leichte oder schwermütig-zarte Szenen. In diese Situation tritt dann eine Gruppe von Personen ein. Dieses „wir“ muss sich nun in irgendeiner Weise mit den herrschenden Bedingungen arrangieren, mal richten sie sich häuslich ein, mal stehen sie den Ereignissen irritiert gegenüber:

peu à peu verwintern wir. kommt tintenkiller über die stadt.

Das wechselnde Arrangement dieser drei Prinzipien reicht Skudlarek, um seinen Gedichtband mit mehr als sechzig lyrischen Miniaturen kunstvoll zu bespielen. Jeder Text entwirft seine eigene, kleine Welt:

nun ist es herbst und die ornithologen fallen aus den bäumen.

In eleganten, unangestrengten Gedankengängen führt Skudlarek seine Leser durch seine Welten und lenkt ihre Blicke:

das zimmer gedimmt, nur die mikrowelle
leuchtet gnostisch. Doppelpunkt, ziffern
glimmen in gekünsteltem grün, kleine balken
halten sie zusammen. bücher überall verstreut.

Wenn die Szene vom in Dämmerlicht getauchten Raum auf die Anzeige der Mikrowelle zoomt, dann liegt dort nicht nur der besagte Elektrosmog in der Luft, sondern zugleich wird die ausgefeilte Ästhetik des gemeinhin übersehenen technischen Details gewürdigt. Leuchtschrift wird in das Schwarzweiß der lyrischen Schrift ausbuchstabiert. Der letzte Vers wiederum leitet vom Rauminneren zum Blick aus dem Fenster über:

vorm fenster leuchtschriften, ampeln,
ihre überhangsmandate.

Die Mikrowellenanzeige beleuchtet also das Zimmer genauso wie die Neonlichter die Stadt. Die politische Metapher „überhangsmandate“ sowie der Titel „i know i am ugly but i glow at night“, der auf Wowereits Spruch, Berlin sei „arm, aber sexy“ anspielt, legen nahe, dass es sich hier um die Hauptstadt handelt. So fühlt sich der Einzelne in den Wogen des Berliner Nachtlebens: wie eine glimmende Mikrowelle.
Oder kommentiert das Gedicht einfach nur frech die Kost, welche die gigantische Mikrowelle Hauptstadt ihren Gästen serviert: aufgewärmt, aber labberig? Dem in Berlin lebenden Skudlarek ist da etwas anderes gelungen. Schon lange war kein so klug austariertes, leichthändiges, vergnügliches Lyrikdebüt zu genießen.

Christian Metz, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.1.2014

elektrosmog von Jan Skudlarek

lyrische Viten in melancholischem Sound

So sehr man Bücher auch aus den unterschiedlichsten Gründen mögen resp. lieben mag, so sind sie schlussendlich und gnadenlos nüchtern betrachtet doch ein Produkt, das eine entsprechende Aufgabe zu erfüllen hat – die Vermittlung von Wissen, den Anstoß von Gedanken, nicht zu unterschätzen die bloße Unterhaltung. Entsprechend gezielt – geschuldet der aktuellen Interessenlage, der Stimmung und dem Grad der Angespanntheit im Alltag – dürften sich die meisten Buchkonsumenten (um im Terminus zu bleiben) für das Buch entscheiden, das es als nächstes zu lesen gilt: etwas Unterhaltsames für die Zugfahrt, etwas Geruhsames zur Nacht, etwas sachkundig Fundiertes zur Stillung des Wissensdurstes.
Wie viele notorische Leser verfüge ich über einen unablässig größer werdenden Buchvorrat. In der Zeit, in der ich zwei Bücher lese, kommen mindestens drei neue hinzu, so dass abzusehen ist, dass ich nie alle meine Bücher werde lesen können. Um trotzdem allen Büchern eine Chance einzuräumen, greife ich traditionell mit geschlossenen Augen in die Stapel. So auch vorgestern. Nach der Lektüre eines seitenstarken Sachbuchs mit unzähligen Fußnoten und Querverweisen hoffte ich auf leichten Stoff – ein frommer Wunsch, denn mit elektrosmog, dem 2013 bei luxbooks erschienenen Lyrikband von Jan Skudlarek, zog ich ein Buch, das sich seinem Leser nicht gerade kampflos an den Hals wirft.
Für den erst zweiten Einzelband (elektrosmog wird allerorten gerne als Debüt bezeichnet, was meinem Gefühl nach nur so halb stimmt, da bereits 2010 in der Lyrikreihe der Parasitenpresse erloschene finger erschien) eines noch jungen Autors hat elektrosmog ein mehr als beachtliches und durchweg positives Medienecho erfahren. Getreu des vor allem in öffentlichen Sitzungen der Kommunalpolitik praktizierten Mottos Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von jedem vermag ich guten Gewissens in das Lob einzustimmen. Zu Recht bescheinigen die Rezensenten dem 1986 in Hamm geborenen und inzwischen in Berlin lebenden Skudlarek eine fein abgewogene, unangestrengte Sprache, treffende Formulierungen, thematische Vielfalt sowie das Gespür für das richtige Bild. Die etwas schwiemelige Feststellung, der Autor beschäftige sich in seinen Gedichten mit den wirklich großen Themen, mit Liebe und Tod und Natur, darunter mache er es ja nicht, möchte ich vielleicht ein wenig relativieren; relativ weil subjektiv, lebt mancher doch für seinen Fußballverein oder den Modellbau.
Es ist mehr als augenscheinlich und nicht von der Hand zu weisen, dass es sich bei den meisten Rezensenten, die Lyrik besprechen, um geübte oder zumindest der Lyrik sehr wohlwollend gegenüberstehende Menschen handelt, denn, ich sagte es bereits: Die Texte machen es einem nicht immer ganz einfach, und ich könnte es gut verstehen, wenn sie einem ungeübten Leser ab und zu eher ein Fragezeichen ins Gesicht als stehende Ovationen in die Beine zaubern würden. Viele von Skudlareks Gedichten erschließen sich nicht auf den ersten, vielleicht auch noch nicht auf den zweiten Blick. Wer schnell durchhecheln will, ist hier definitiv falsch. Sperrig im großzügigen Blocksatz ohne Silbentrennung kommt vieles im Stakkato daher, aber: Wer seinen Sinnen die Zeit gibt, sich zu kalibrieren, wer sich auf die Texte ein- und sie wirken lässt, der wird belohnt – mit schönen und angenehm unverbrauchten Bildern, vor allem aber mit einem sich immer deutlicher herausschälenden, von karger Melancholie getragenen Sound und Rhythmus. Da passt dann ein halbes Leben in wenige Zeilen:

FREEZE FRAME

ein   schwarzweißfoto,   das  ins  auge  sickert.
brachland im hintergrund. menschentrauben.
eine nahezu lunare weite.   ich händige es aus.
amnesie, modrige schubladen folgen. was tun,
wenn die innere stimme versagt

Wie gesagt: Wer dieser Art von Gedichten nicht folgen kann oder mag, ist für mich nicht gleich seltsam oder arm dran. Und Mitleid, wie es ein anderer Rezensent nahelegt, muss man mit diesen Menschen auch nicht haben, denn es gibt ja genug andere Bücher und die Geschmäcker sind nun mal verschieden, und man muss ja auch gar nicht lesen – und ich habe ja auch nicht automatisch Mitleid mit Menschen, die nicht gerne Snooker spielen, nur weil ich gerne Snooker spiele. Und wem die Gedichte nichts sagen, der kann sich ja immer noch mit den Illustrationen von Simone Kornappel vergnügen, die für Cover und Innenteil wunderbare Collagen in der dadaistischen Tradition einer Hannah Höch oder eines Raoul Hausmann beigesteuert hat.
Für mich ein ausgesprochen bereicherndes Buch, das ich mal lieber nicht so weit weg legen werde. Hut ab!

Stefan Heuer, LYRIKwelt, Februar 2014

Weitere Beiträge zu diesem Buch:

Dirk Uwe Hansen: Balanceakte
signaturen-magazin.de

Peter Neumann: Drahtlos, weltverbunden
fixpoetry.com, 16.12.2013

Julia Schramm: „Elektrosmog“ von Jan Skudlarek
juliaschramm.de, 10.12.2013

Isabel Steinmetz: Elektrische Poesie
literaturkritik.de, Mai 2015

 

 

Fakten und Vermutungen zum Autor + Facebook
Porträtgalerie: Dirk Skibas Autorenporträts

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

0:00
0:00