Achim von Arnims Gedicht „Wenn die Kinder üble Laune haben“

ACHIM VON ARNIM

Wenn die Kinder üble Laune haben

Zürnt und brummt der kleine Zwerg,
Nimmt er alles überzwerch,
Ein Backofen für ein Bierglas,
Den Mehlsack für ein Weinfaß,
Den Kirschbaum für ein Besenstiel,
Den Flederwisch für ein Windmühl,
Die Katz für eine Wachtel,
Den Sieb für eine Schachtel,
Das Hackbrett für ein Löffel,
Den Hansel für den Stöffel.

um 1805

 

Konnotation

Die Welt und ihre Logiken auf den Kopf stellen – das ist das Vorrecht der Kinder. Es ist ihr Privileg, vernunftlos zu träumen und ohne Maß und ohne Mäßigung die Umwelt gemäß den eigenen Phantasien zu verwandeln. In dem Kinderlied jenes Dichters, der in der berühmten Liedersammlung Des Knaben Wunderhorn (1806–1808) als anonym ausgewiesen wird, sind es recht gewaltsame Metamorphosen, die sich ein „kleiner Zwerg“ vorgenommen hat.
Solche Vertauschung der Dinge, wie sie hier übellaunigen Kindern nachgesagt wird, ist auch ein Grundprinzip aller Poesie. Letztere spielt gern mit dem Stilmittel der Inversion, der Vertauschung von Begriffen, die oft direkt in die Vertauschung der Dinge mündet. Was in Des Knaben Wunderhorn noch als das Werk eines „unbekannten Dichters“ firmierte, stammt in Wahrheit aus der Feder Achim von Arnims (1781–1831), so dass das Gedicht später durchaus zu Recht in seine Sämmtlichen Werke (1840) aufgenommen wurde.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

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