Bernd Wagners Gedicht „Zweite Erkenntnis“

BERND WAGNER

Zweite Erkenntnis

Wir haben es geschafft.
Wir haben sie nachgeholt, die Katastrophe.
Ich hab dich gewürgt
und du hast gepfiffen, getrommelt, geschrien.
Somit haben wir es geschafft
und sind angekommen in der Gegenwart.
Hast du Angst vor der Zukunft?
Warum denn?
Ich bin bei dir.

1978

aus: Bernd Wagner: Zweite Erkenntnis. Aufbau Verlag, Berlin 1978

 

Konnotation

Erst auf den zweiten Blick wird in Bernd Wagners „Zweite Erkenntnis“ (aus dem gleichnamigen Band, der 1978 erschien) offenbar, dass das Gedicht den katastrophalen Verlauf einer Beziehung skizziert, um in Andeutung über einen zynischen gesellschaftlichen Zustand zu sprechen. Das Ende der 1970er Jahre und nach Erich Honeckers Aufstieg zum Staatsoberhaupt der DDR geschriebene Gedicht lässt einen Liebenden auftreten, dessen gespenstische Anwesenheit beunruhigt. Mit der beunruhigenden Präsenz des furchteinflößenden Partners ist auch in Zukunft zu rechnen.
Nicht wenige Autorinnen und Autoren der DDR haben versucht, diesem unliebsamen Partner die Augen zu öffnen für ihre Sicht der Beziehung. Die Chancen dafür scheinen jedoch gering gewesen zu sein. So dauerte es nicht lange, bis Bernd Wagner (geb. 1948), der zu den Unterzeichnern der Protestresolution zur Ausbürgerung Wolf Biermanns gehörte, das Land verlassen musste. 1985 bürgerten ihn die DDR-Behörden aus, seitdem lebt er in West-Berlin.

Norbert Lange (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010

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