Christian Hoffmann von Hoffmannswaldaus Gedicht „Auff den mund“

CHRISTIAN HOFFMANN VON HOFFMANNSWALDAU

Auff den mund

Mund! der die seelen kan durch lust zusammen hetzen /
Mund! der viel süsser ist als starker himmels-wein /
Mund! der du alikant des lebens schenckest ein /
Mund! den ich vorziehn muß der Inden reichen schätzen /

Mund! dessen balsam uns kann stärcken und verletzen /
Mund! der vergnügter blüht / als aller rosen schein.
Mund! welchem kein rubin kann gleich und ähnlich seyn.

Mund! den die gratien mit ihren quellen netzen;
Mund! Ach corallen-mund / mein eintziges ergetzen!
Mund! laß mich einen kuß auff deinen purpur setzen.

um 1660

 

Konnotation

Die überschwengliche Eloge auf den Mund als sinnliche Körperzone, die der Barockdichter Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau (1617–1679) in gewaltiger metaphorischer Erhitzung hier vorlegt, ist auch ein vorzügliches Exempel des manieristischen Stils. Der Mund als Objekt des Begehrens wird in immer neuen Varianten besungen, deren pathetische Aufladung sich unablässig steigert. In Geschmack, Farbenreichtum und Strahlkraft scheint der Mund das zentrale Element menschlicher Glückserfahrung zu sein.
Der Mund wird freilich als Partialobjekt der Verlockung von dem geliebten Menschen abgespalten, dem der Wunsch, „einen kuß auff deinen purpur (zu) setzen“, eigentlich gilt. Dieses Loblied auf den sinnlichen Genuss, das der Abkömmling einer Breslauer Patrizierfamilie und politische Karrierist Hoffmannswaldau komponiert hat, entfernt sich demonstrativ von dem Vergänglichkeits-Gedanken bzw. den vanitas-Motiven, die üblicherweise den Wesenskern der Barocklyrik bilden.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010

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