Clemens Brentanos Gedicht „Hörst du, wie die Brunnen rauschen“

CLEMENS BRENTANO

Hörst du, wie die Brunnen rauschen

Hörst du, wie die Brunnen rauschen?
Hörst du, wie die Grille zirpt?
Stille, stille, laß uns lauschen,
Selig, wer in Träumen stirbt!
Selig, wen die Wolken wiegen,
Wem der Mond ein Schlaflied singt!
O wie selig kann der fliegen,
Dem der Traum den Flügel schwingt,
Daß an blauer Himmelsdecke
Sterne er wie Blumen pflückt!
Schlafe, träume, flieg! Ich wecke
Bald dich auf und bin beglückt.

1811

 

Konnotation

Im Zuge seiner Konversion zum Katholizismus, die er 1817 mit der Generalbeichte bekräftigte, geriet Clemens Brentano als Dichter in eine tiefe Krise. Er sah sich fortan an nur noch als „Schreiber“, der auf weltliche Ehre und Dichter-Ruhm verzichten wollte. Sein berühmtes Märchen vom Myrtenfräulein wurde ohne Wissen Brentanos von seinen Freunden 1826/27 veröffentlicht. Darin findet sich auch ein wahrscheinlich 1811 entstandenes Gedicht, das unter dem Titel „Schlaflied“ oder „Hörst du wie die Brunnen rauschen“ in zahllose Anthologien aufgenommen wurde.
Hier sind alle romantischen Wunschbilder Brentanos versammelt: Das Ich, das sich dem Gesang der Naturdinge in Träumen und Verschmelzungsphantasien hingibt, und die Empfindung von Glück und Seligkeit, die sich bei dieser mystischen Begegnung mit Natur und Kosmos einstellt. Die Entgrenzungsphantasie wird in eine wunderbare Sprachmusik transformiert.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006

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