Erich Frieds Gedicht „Was es ist“

ERICH FRIED

Was es ist

Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe

1983

aus: Erich Fried: Es ist was es ist. Liebesgedichte, Angstgedichte, Zorngedichte. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1991

 

Konnotation

Der populärste Text des dezidiert politischen Lyrikers Erich Fried (1921–1988) ist ein zartes Liebesgedicht, das 1983 seiner Sammlung Es ist was es ist den Titel gab. Gegenüber den Imperativen einer pragmatischen Vernunft und einer ernüchterten Erfahrung plädiert Fried hier für die Beharrungskraft der Liebe. Selbst die Angst vor Schmerz und Zurückweisung kann die Eigendynamik der Liebesenergie nicht bremsen.
Alle Einwände gegen die Haltbarkeit und Legitimität der Liebe, die diverse Instanzen der Erfahrung hier vortragen, werden durch den lakonischen Hinweis auf die schiere Existenz und Eigenmacht der überwältigenden Passion entkräftet. Das So-Sein der Liebe überwindet alle gegenläufigen Kräfte. Durch die gebetsartige Wiederholung der fast tautologischen Formel „Es ist was es ist“ gewinnt das Gedicht seine Suggestivität. „Was es ist“ trat in den 1980er Jahren einen Siegeszug in nahezu alle Lesebücher und didaktische Studien zur Vermittlung von Lyrik an – und gilt bis heute als exemplarisches Modell moderner Liebeslyrik.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010

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