Eugen Roths Gedicht „Einbildung“

EUGEN ROTH

Einbildung

Wir sehn mit Grausen ringsherum:
Die Leute werden alt und dumm.
Nur wir allein im weiten Kreise,
Wir bleiben jung und werden weise.

1930er Jahre

aus: Eugen Roth: Sämtliche Werke. Bd. 2: Gedichte. Carl Hanser Verlag, München 1977

 

Konnotation

Zu den ganz großen Stärken des zu Lebzeiten äußerst populären Dichters Eugen Roth (1895–1976) gehört die lakonische Leichtigkeit, mit der er auf die Selbstmissverständnisse, Lebenslügen und Illusionen seiner Mitmenschen blickte. Besonders seine konzentrierten „Ein Mensch“-Gedichte und -Erzählungen, die seit den 1930er Jahren entstanden, entwerfen ein vielschichtiges Porträt weit verbreiteter Lebensschwächen.
Eine sehr beliebte Illusion im bürgerlichen Selbstbild ist ein aus Dummheit geborener narzisstischer Hochmut. Dass immer nur die anderen den Alterserscheinungen und nachlassenden Geisteskräften verfallen, redet sich das moderne Ich gerne selbst ein, der Traum ewiger Jugend ist einfach zu verlockend. Das Problem ist nur, dass bereits dieser folgenschwere Irrtum eine Vorstufe zu der so verachteten prä-senilen „Dummheit“ ist.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

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