Frank Wedekinds Gedicht „Auf dem Faulbett“

FRANK WEDEKIND

Auf dem Faulbett

Auf mein Faulbett hingestreckt
überdenk ich so meine Tage,
Forschend, was wohl dahinter steckt,
Daß ich nur immer klage.

Ich habe zu essen, ich habe Tabak,
Ich lebe in jeder Sphäre,
Ich liebe je nach meinem Geschmack
Blaustrumpf oder Hetäre.

Die sexuelle Psychopathie,
Ich habe sie längst überwunden –
Und dennoch, ich vergeß es nie,
Es waren doch schöne Stunden.

1905

 

Konnotation

Mit Gedichten wie diesem Loblied auf die erotische Freibeuterei und die narzisstische Behaglicheit, das 1905 in seinem Band Die vier Jahreszeiten erschien, hat der exzentrische Dramatiker, Balladen-Dichter und Bürgerschreck Frank Wedekind (1864–1918) die Moralvorstellungen seiner Zeit provoziert. Immer wieder spielte Wedekind mit der Figur des Libertins – das reichte für ein Dutzend Theater-Skandale.
Ein Hedonist und Fraueneroberer zieht Bilanz: Die wilden Jahre unablässigen sexuellen Konsums von Frauenkörpern sind zwar vorbei – gleichwohl verklären sie sich in der Rückschau des lyrischen Ich zu großen Triumphen. Zum Casanova gehört auch der Stolz über die eigene Unwiderstehlichkeit: Der schrankenlosen Liebesfähigkeit des Ich erliegen sowohl Aktivistinnen der Emanzipationsbewegung („Blaustrumpf“) als auch Prostituierte („Hetäre“).

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

0:00
0:00