Friedrich Rückerts Gedicht „Kehr ein bei mir“

FRIEDRICH RÜCKERT

Kehr ein bei mir

Du bist die Ruh,
Der Friede mild,
Die Sehnsucht du
Und was sie stillt.

Ich weihe dir
Voll Lust und Schmerz
Zur Wohnung hier
Mein Aug und Herz.

Kehr ein bei mir
Und schließe du
Still hinter dir
Die Pforten zu.

Treib andern Schmerz
Aus dieser Brust!
Voll sei dies Herz
Von deiner Lust.

Dies Augenzelt,
Von deinem Glanz
Allein erhellt,
O füll es ganz!

1819/20

 

Konnotation

Als polyglotter Privatgelehrter, kundiger Orientalist und Übersetzer arabischer Volksdichtungen hat sich der Romantiker Friedrich Rückert (1788–1866) einigen Nachruhm erworben, als Dichter ist er jedoch kaum noch präsent. Schon zu Lebzeiten vermochte der überaus produktive Dichter seine Familie mit sechs Kindern kaum durchzubringen. „Lyrische Gedichte“, schrieb er an seinen Verleger, „sind kein gesuchtes Marktgut“, er wolle daher „hausbackene Lieder verfassen, soviel nur begehrt wird“.
Rückerts frühe Liebesgedichte können sich durchaus mit den Heineschen Volksliedstrophen messen. Das Liebesgefühl, das sich aus den Ingredienzien Lust und Schmerz, Sehnsucht und Verlust zusammensetzt, ist in diesem 1819/20 entstandenen Gedicht anrührend illustriert. Das lyrische Ich träumt nicht nur von der Einkehr der Geliebten in ein gemeinsames Domizil, sondern von einer magischen Verschmelzung der Liebenden mit Leib und Seele. Franz Schubert hat 1823 Rückerts Gedicht vertont.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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